Brilliant Classics/Foreign Media 8712
(600 Min., 1967-1992) 10 CDs
Während die Schatzgräber von Brilliant Classics aus russischen Archiven normalerweise Aufnahmen verstorbener Interpreten aufspüren, legen sie nun in einem dicken Schuber einen Querschnitt durch das Werk eines quicklebendigen Zeitgenossen vor. Entdecken darf man hier einen großen Geiger am Anfang seiner Karriere, bevor er im Westen entdeckt wurde: Aufnahmen etwa des gerade 20-Jährigen, der mit einer kleinen Paganininummer bei genauem Hinhören schon unmissverständlich macht, wie weit er es schaffen wird. Viele der Livemitschnitte dokumentieren darüber hinaus Kremers Konzerte aus jüngerer Zeit, und sie geben ein überaus spannendes, wenngleich von seinem Panorama nicht überraschendes Bild eines Künstlers, der Musik in himmlische Höhen heben kann (wie etwa Beethovens G-Dur-Sonate op. 96 anno 1975 mit Oleg Maisenberg), den Blick auf sie aber mit breitschultrigem Ego immer wieder auch verstellt. Wer sich etwa von der neuerlichen Veröffentlichung der Bachsoli bei ECM erschrecken ließ (und die 25 Jahre alte Philipsbox nicht kannte), darf nun erfahren, dass Kremer schon vor Jahrzehnten diese Prachtstücke als Mittel zur Selbstdarstellung verstanden und damit gründlich an ihnen vorbeigegeigt hat: Jede Note schreit hier nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Dort, wo Kremer seine Energie und Nervosität zu mäßigen, oder sagen wir besser mit Freud: zu sublimieren weiß, ist das Resultat freilich grandios. Auch angesichts des sympathisches Preises, zu dem diese Box den Markt erreicht, mag man also durchaus mit großem Gewinn stöbern in dem neuen Kremerarchiv – und nebenbei auch einige kompositorische Entdeckungen machen. Was für Bach, Mozart und Beethoven gilt, das gilt bei Kremer eben auch für Schönberg, Webern, Berio oder Stockhausen: Manchmal ist er wunderbar, manchmal ärgerlich, langweilig ist er nie.
Raoul Mörchen, 01.02.2008
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