Jetzt wird’s großformatig. Bill Frisell, sonst eher ein sensibler Kammermusiker zwischen Jazz und Country, präsentiert auf dem Doppelalbum „Orchestras“ jeweils eine Scheibe mit den Brüsseler Philharmonikern (Aufnahme 2022) und mit dem Umbria Jazz Orchestra (Aufnahme 2021). Eine Sonderedition, die ausschließlich im Internet beim JazzEcho Store erhältlich ist, enthält eine dritte LP. Nach Italien und nach Belgien brachte Frisell seine bewährten Trio-Partner, den Kontrabassisten Thomas Morgan und den Schlagzeuger Rudy Royston mit. Die Arrangements für beide Besetzungen schrieb Michael Gibbs; außerdem steuerte er einige eigene Stücke bei.
Gibbs’ „Nocturne Vulgaire“ eröffnet die erste Brüssel-Scheibe mit hollywoodesker Klangschwere. Doch dabei bleibt es nicht: Schon in der Überleitung zu seiner Bearbeitung des Ellington/Strayhorn-Klassikers „Lush Life“ knackt das Trio diese Fülle. Die folgenden Stücke reizen die Möglichkeiten der Kooperation aus, indem Gibbs dem Orchester Begleit- und Dominanzrollen zuweist, Dialoge vorsieht oder die Partner allein spielen lässt: ein abwechslungsreiches Klanggeschehen, das ebenso selbstverständlich volkstümliche Tanzrhythmen wie duftige und wuchtige Orchesterpassagen enthält. Die nur in der Sonderedition erhältliche dritte, 33-minütige LP ist vor allem dem Trio vorbehalten; das Orchester wirkt nur in zwei der sieben Stücke mit.
Wesentlich lockerer als die Begegnung mit dem Brüsseler Orchester fiel die Zusammenarbeit mit dem Umbria Jazz Orchestra aus, zumal die Bigband Morgan und Royston gegen ihre regulären Bassisten und Schlagzeuger eintauschte und Frisell als Solisten in den Vordergrund rückte. Hier blieben mehr Räume für die Interaktion von Solist und der Bigband. Erst mit dem finalen „We Shall Overcome“ wird auch die Bigband zum füllig-schweren Klangkörper, der das einstige Kampflied der amerikanischen Bürgerrechts- und Antikriegsbewegungen zur Erinnerungs-Hymne umstilisiert. Die Zusammenarbeit mit Michael Gibbs brachte eine ungewohnte Facette von Frisells Persönlichkeit ans Licht.

Werner Stiefele, 20.04.2024

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