„Ruhevoll, poco adagio“ will der dritte Satz gespielt werden. Dieses bittersüße Herzstück von Gustav Mahlers 4. Sinfonie – das nun bei Franҫois-Xavier Roth geradezu „todesruhevoll“ erklingt. Nichts scheint hier, in diesem riesigen, sich sanft in Bewegung setzenden Streichergesang ohne Worte nur noch einen Funken Hoffnung zu besitzen, in dieser ergreifend schönsten Form von Weltabgewandtheit, die schon von Ferne Mahlers „Adagietto“ erahnen lässt. Rund 21 Minuten nimmt dieses völlig anti-larmoyante und dennoch bewegende Lamento jetzt ein. Und bei jedem Takt wird einem klar, dass alles sofort in sich zusammenbrechen würde, wenn die Musiker nur für einen Moment nicht jene Spannung und Konzentration aufbieten würden, die man bewundernswert auch da konsequent aufbringt und hochhält, wo Musik zu einem einzigen ultrazarten Pianissimo-Strom wird.
Auch die zweite Beschäftigung mit einer Mahler-Sinfonie entpuppt sich bei Roth und seinem Originalklangorchester Les Siècles somit als Ereignis. Nicht allein wegen der „natürlichen“ und transparenten Spielweise auf Instrumenten der Entstehungszeit der Sinfonie (vorrangig spielt man auf deutschen und österreichischen Instrumenten). Roth und seine Musiker entdecken in diesem Mix aus Idylle und Abgrund, aus irdischer Leichtigkeit und spiritueller Entrücktheit zugleich wie selbstverständlich Stimmen und Stimmungen, die Mahlers Einflüsse auf den Schönberg-Kreis untermauern. Das kurze Solo-Violin-Ächzen etwa gleich zu Beginn des 2. Satzes besitzt fast expressionistische „Pierrot“-Züge. Mit sich im Reinen ist schließlich diese Sinfonie im Finale. Auch dank der schwebenden (Mozart-)Sopranstimme von Sabine Devieilhe. Das ist Mahler fürs 21. Jahrhundert.

Guido Fischer, 27.08.2022

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