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Am 13. März wird einer der für einflussreichsten deutschen Komponisten der Gegenwart 60 Jahre. Wolfgang Rihms Werk lebt von Zurücknahme und Konzentration. Auch Hans-Christoph Rademann, der mit dem RIAS Kammerchor für diesen Anlass Passionsvertonungen und weitere Vokalwerke von Wolfgang Rihm aufgenommen hat, fühlte sich – ganz im Rihm’schen Sinne – überrascht von dieser »Musik der Zwischentöne«, sah hier »Komponieren als ein Schreiben zwischen den Zeilen«, das dem Text seine Autonomie belässt. Das verlangt vom Komponisten auch im Alltag eine gehörige Portion Stille, und die ist in Zeiten runder Geburtstage besonders rar. Für gewöhnlich ist der Professor der Musikhochschule Karlsruhe der medialen Öffentlichkeit ganz stillvergnügt abhanden gekommen, bis auf ein Faxgerät. Raoul Mörchen hat für RONDO mal einen Fragebogen in guter alter Proustscher Manier verfasst und auf Umwegen zu Rihm durchgestellt. Dann wartete er geduldig auf Antworten aus der Stille.
RONDO: Warum komponieren Sie eigentlich?
Wolfgang Rihm: Weil ich es gerne tue und auch ganz gut kann. Mit der Zeit erwuchs ein zusätzliches Motiv: weil ich erfahren darf, dass ich vielen Menschen durch meine Musik etwas geben kann.
RONDO: Und für wen?
Rihm: Für Menschen, die es hören wollen.
RONDO: Was ist Musik?
Rihm: Eine bewusste Anordnung akustischer Ereignisse, die den menschlichen Geist und die Gefühlssphäre zu jeweils eigener Tätigkeit anzuregen vermag.
RONDO: Was würde der Welt fehlen, gäbe es sie nicht?
Rihm: Der »Welt« fehlt ja grundsätzlich nichts. Dem Menschen würde ein Äquivalent für »alles« fehlen.
RONDO: Sind Komponisten Forscher?
Rihm: Das ist ein Habit, das sie sich anlegen können, um nach außen ein Verständnis für ihr Tun anzuregen; vor allem dann, wenn wissenschaftliche Tätigkeiten die Leitdisziplinen darstellen.
RONDO: Wie definieren Sie »Schönheit«?
Rihm: »Schönheit« und »Definition« empfinde ich als unvereinbar; einfach deshalb schon, weil zur Schönheitswahrnehmung ein entgrenzendes Überraschtsein gehört – durch etwas Unfassbares.
RONDO: Komponieren Sie heute anders als früher, weil Sie älter sind?
Rihm: Ich glaube nicht. Aber es könnte sein. Nur – das muss ein anderer, als ich selbst, erforschen.
RONDO: Angenommen, Sie besäßen von einem Lieblingswerk eine sehr gute Aufnahme, würden Sie sich irgendwann noch eine weitere besorgen?
Rihm: Aber natürlich. Musik ist immer einmalig und sie lebt von Interpretation.
RONDO: Wenn Sie jetzt in ein Konzert eingeladen würden – welches Werk würden Sie gerne hören?
Rihm: Im Moment? Bachs h-Moll-Messe.
RONDO: Sie dürfen zum Geburtstag ein beliebiges Projekt realisieren – was wäre das?
Rihm: Ich kann mir keines vorstellen. Natürlich kann ich mir »etwas« vorstellen – aber das wollte ich vielleicht gar nicht, würde den Wunsch nur wegen des Anlasses hervorpressen.
RONDO: Sie werden eingeladen, zwei Wochen an einem Ort Ihrer Wahl zu verbringen, dürfen dort aber nicht komponieren – würden Sie fahren?
Rihm: Aber ja. Außerdem komponiert »es« sowieso ständig in einem weiter, auch wenn wir nicht am Schreibtisch sitzen.
RONDO: Und wohin? Rihm: In die Gegend Île de France/Picardie – um eine Zeit mit den ungeheuerlichsten gotischen Bauwerken zu verbringen (Amiens, Beauvais, Chartres, Noyon ...).
RONDO: Das letzte Geburtstagsgeschenk: eine Zeitmaschine – in welche Epoche geht die Reise?
Rihm: Natürlich würde ich eine Zeitmaschine sofort zerstören. Aber – wenn ich mich auf das Fragespiel einlasse: Mich interessiert derzeit sehr das 18. Jahrhundert.
RONDO: Und wen würden Sie da gerne treffen? Rihm: Goethe natürlich. Aber auch ... (hier bricht das Gespräch ab. Offenbar wurde der befragte Jubilar zu einem anderen Interview abgeholt.)
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