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Mission impossible? Bekanntlich gelang ja Tom Cruise das Unmögliche. Warum nicht auch Nils Mönkemeyer. Zugegeben: Der Bratschist hat die schwierigere Aufgabe. Denn was ist schon Cruises haarsträubend spannender Einbruch in Fort Knox gegenüber der Sisyphus-Aufgabe, die Bratsche von ihrem Witze-Image zu befreien, das da ganze Abendunterhaltungen und Internetrubriken füllt? Natürlich will man den 32-jährigen Bremer mit Wohnsitz in München beim Interview nicht mehr damit konfrontieren. Doch das Thema liegt einfach in der Luft. So erzählt der Bratschist eben selber einen Witz – den vom Bratscher, der an einer Kneipe vorbeigeht: Den hätte er auch erst beim zweiten Mal verstanden! Und lacht kräftig über jenen Bratschenschüler, der nach zwei Unterrichtsstunden, in denen er die leere g- und d-Seite spielen gelernt habe, nicht mehr zur dritten Stunde erscheint, weil er inzwischen zu viele Muggen bestreiten müsse. So ganz aus der Luft gegriffen sei der nicht, meint Mönkemeyer, wie er aus eigener Jugenderfahrung mit der Barockgeige und manch langweiliger Tonsequenz weiß.
Woher kommt der Legitimationsdruck des Bratschers? Kann man vielleicht ein ›Psychogramm‹ dieses als langweilig verhöhnten ›Zweite Reihe‹- Instrumentes erstellen? Gibt es gar eine Wahlverwandtschaft zwischen Instrument und Spieler? Mönkemeyer ist der sprichwörtliche Gegenbeweis. Der – trotz aller berühmten Vorbilder und Kollegen – bislang einzige Bratschen- Exklusivkünstler eines Major-Labels ist ein selbstbewusster junger Wilder, nicht nur mit seinem breiten Wuschelkopf. Nicht um eine Bratschen- Rehabilitations-Mission gehe es ihm (wie auch seinem Label), sondern um seine individuelle Kunst, sich auszudrücken. Die Bratsche ist das Überzeugungswerkzeug, das Mönkemeyer wegen seines warmen, erdigen, sonorrauchigen Klanges liebt – im Unterschied zur kleinen, hysterischen Geigen- Schwester (die auch er als Kind und Jugendlicher noch zu lernen hatte).
Wer nun meint, vor deren Virtuosität und leichtfüßigem Schwung müsse die scheinbar schwerfällige, schon von Quantz 1776 als unhandlich gebrandmarkte größere Schwester den Hut ziehen, der höre – und sehe – Mönkemeyers neue Platte »Folia«. Der Bratschist als Bocksprünge machender Hofnarr!
Bekanntlich wurde das barocke, aus Portugal stammende Tanzmodell mit dem Dreiertakt und dem zwei Mal achttaktigen Thema wegen des ungezügelten Temperaments sogar verboten. Andererseits versetzt einen der gleichförmige Rhythmus nicht selten in eine melancholische Trance. Telemanns schwungvolles Konzert, das erste Bratschenkonzert überhaupt, Corellis berühmte, höchst facettenreiche »Folia«-Variationen, Delalandes kurzweiliges Hofamüsement und die Bratschen-Bearbeitung von Bachs d- Moll-Konzert, das in den drängenden Ecksätzen bohrend-intensive Seiten, im langsamen Satz dunkle Sehnsüchte ergründet: In diesem Spannungsfeld von verrückter Ausgelassenheit und tiefster Ausdruckskunst siedelt der Künstler selbst sein neuestes Kind an.
Womit er nicht zuletzt dem Ehepaar Harnoncourt seine Ehrerbietung erweist. Dessen lustvolle Experimente aus den 60er Jahren, barocke ›Originalklang‹-Musik, insbesondere von Bach, zum (Schallplatten-)Leben zu erwecken, faszinierten 20 Jahre später den kleinen Nils derart, dass er in Rollenspielen den berühmten Thomaskantor mimte und beschloss, Musiker zu werden. Und Bach (nicht nur der Bratschist!) wurde die Konstante, der innere Halt seines Künstlerlebens.
Dafür dankt er den Harnoncourts (und insbesondere ihrer Einspielung der Violinkonzerte), auch wenn es dem 12-jährigen Barockgeiger damals nicht gelang, Alice Harnoncourt vorzuspielen. Sie war zwar rührend angetan, meinte aber, er solle noch weiter auf der normalen Geige üben. Dazu kam es nicht mehr, der Teenager nahm die Bratsche zur Hand und kann inzwischen längst als Dresdner, bald Münchner Hochschullehrer seinen Schülern eigene Ratschläge erteilen. Und ihnen die neuesten Bratscher- Witze erzählen – mit dem souveränen Wissen, dass sie längst von gestern sind.
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