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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Charly Rappo

Lucas Debargue

Expressionistischer Impressionist

Zum 100. Todestag Gabriel Faurés veröffentlicht der Pianist dessen gesamtes Klavierwerk – auf einem besonderen Instrument.

Selten hat die Musikgeschichte einen Komponisten hervorgebracht, der weniger plakativ zu Werke gegangen wäre als Gabriel Fauré. Wirft man jedoch einen genaueren Blick auf seine Musik, verbirgt sich hinter ihrer pastellenen Anmut, ihrer klassischen Eleganz eine atemberaubende Virtuosität im Umgang mit den kompositorischen Mitteln: das unmögliche Kunststück, komplexe Vorgänge in den Bereichen Harmonie und Kontrapunkt hinter einem durchsichtigen Schleier zu verbergen, eine äußerlich völlig ruhige Klanglandschaft hervorzubringen, die doch im Inneren zutiefst aufgewühlt ist. Kaum einer kennt sich derzeit so gut darin aus, wie der französische Pianist Lucas Debargue, der mit der vierteiligen Gesamteinspielung von Faurés Klavierwerken nach einer spektakulären Aufnahme von 52 Scarlatti-Sonaten das nächste Großvorhaben für sein Label verwirklicht hat. Selten war er von einem Projekt so überzeugt, wie von diesem: „Oft haben Gesamtaufnahmen etwas von Pflichtübung. Es gibt die berühmten Werke, auf die man sich konzentriert, während die weniger bis gar nicht bekannten eher so mitlaufen.“
Wäre er bei seiner Fauré-Recherche auf etwas gestoßen, das ihn nur halbherzig interessiert hätte, hätte er es weggelassen, beteuert Debargue. Allein: Ein solches Werk konnte er unter den Klavierwerken, die der südfranzösische Komponist von früher Jugend bis ins Alter schuf, nicht finden. Während der Corona-Pandemie hatte Debargue, ein leidenschaftlicher Vom-Blatt-Spieler, die Gelegenheit, sämtliche der meist einzeln veröffentlichten Impromptus, Nocturnes, Romanzen und Barcaroles Faurés kennenzulernen. Parallel zu den Noten las der Pianist alles, was er an Literatur über den Komponisten in die Finger bekam. Die Dramaturgie seiner Gesamtaufnahme ist denkbar einfach: „Ich habe mich bewusst für eine chronologische Reihenfolge entschieden, weil ich den musikalischen Weg, den Fauré im Laufe seines Lebens beschritten hat, nachvollziehbar machen wollte.“ In der Tat: Hört man, bei aller Eigenheit, am Anfang noch immer starke Einflüsse von Mendelssohn Bartholdy und Chopin, enthalten späte Werke wie die 9 Préludes op. 102 oder das hochemotionale Nocturne Nr. 12 op. 107 mehr als nur Anklänge an die Moderne des frühen 20. Jahrhunderts. Sie zeigen den oft dem Impressionismus zugerechneten Fauré als Expressionisten, der in seiner Kunst auf geistig-wissenschaftliche Strömungen seiner Zeit, etwa die Psychoanalyse Siegmund Freuds, reagiert.
Um seiner Interpretation die passende Klanggestalt zu geben, hat sich Lucas Debargue für ein ganz und gar nicht alltägliches Instrument entschieden: den „Opus 102“ des Klavierbauvisionärs (und Pianistenkollegen) Stephen Paulello, der sich durch eine besondere Konstruktion auszeichnet. Da sich kein Teil des Metallrahmens über die Resonanzsaiten legt, können diese vollständig frei schwingen; und das dank 102 statt der üblichen 88 Tasten inklusive daran hängender Saiten noch obertonreicher als üblich. Mit der Monochromie eines „normalen“ Flügels, ist sich Debargue sicher, hätte er niemals den inneren Reichtum von Faurés Musik so einfangen können, wie mit diesem Instrument.

Neu erschienen:

Gabriel Fauré

Sämtliche Klavierwerke

Lucas Debargue

Sony, 4 CDs

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Stephan Schwarz-Peters, 06.04.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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