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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

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am 04.05.2024



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WDR-Intendant Tom Buhrow, Oberbürgermeisterin Henriette Reker und die Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Ina Brandes, bei der Unterzeichnung (v.l.n.r.) © Stadt Köln/Martina Goyert

Pasticcio

Kultstätte neuer Soundgalaxien

Vor genau 75 Jahren, im April 1948, erwähnte der französische Komponist Pierre Schaeffer in einem Aufsatz erstmals den Begriff „Musique Concrète“. Und was sich dahinter verbarg, konnte man am 5. Oktober 1948 im Pariser Rundfunk erleben. Und zwar, als unter dem Programmtitel „Concert des Bruits“ einige elektronische Klangstücke zu hören waren, in denen Schaeffer Alltagsgeräusche verarbeitet hatte. Löste bereits diese Sendung beim Publikum an den Radioempfängern einiges Befremden aus, sorgte zwei Jahre später das erste öffentliche Konzert dann mit eben jener konkreten Musik gleichermaßen für fragende Gesichter. Denn statt eines leibhaftigen Ensembles erblickte man jetzt zahllose im Raum verteilte Lautsprecher, aus denen Geräusche wie aus einer völlig anderen Welt erklangen. In jenen Pionierjahren der elektronischen Musik hielt sich Karlheinz Stockhausen in Paris auf. Und nachdem er von Pierre Schaeffer in sein „Studio für Konkrete Musik“ eingeladen worden war, entflammte er regelrecht für diese Art von Musik. Kaum war Stockhausen zurück in Köln, schloss er sich in das 1951 vom WDR gegründete „Studio für elektronische Musik“ ein, um mit seinem 1956 uraufgeführten „Gesang der Jünglinge“ eines der absoluten Kultstücke dieser neuen musikalischen Zeitrechnung zu komponieren.
Fast ein halbes Jahrhundert lang wurde so das Studio mit all den Sinus-Generatoren und Ring-Modulatoren zum Paradies für Soundtüftler aller Art. Hier gingen die Berliner New Age-Elektroniker Tangerine Dream, das Düsseldorfer Synthie-Pop-Kollektiv Kraftwerk oder die Kölner Krautrock-Urgesteine Can ein und aus. Das später in den WDR-eigenen Räumen in der Kölner Annostraße beheimatete Studio zog aber gleichermaßen Neue Musik-Heroen wie Maurico Kagel, Iannis Xenakis und György Ligeti an.
Doch 2001 war plötzlich Schluss. Das Studio wurde trotz Protest geschlossen. Die Geräte wurden in einem Keller in Köln-Ossendorf untergebracht, wo sich immerhin mit Volker Müller noch ein Toningenieur rührend um diese wertvollen Schätze der Neuen Musik kümmerte. Dennoch hatte man den Eindruck, dass der WDR wenig Interesse an diesem etwas anderen Weltkulturerbe hatte. Lange wurde vergeblich ein neues Domizil für das Studio der elektronischen Musik gesucht. Doch jetzt hat sich tatsächlich etwas getan. Mit großem PR-Tamtam schenkte WDR-Intendant Tom Buhrow das Studio der Stadt Köln. Die Beschenkte zeigte sich in Person der Oberbürgermeisterin hell erfreut und versprach, das Studio an einem neuen Ort zu reaktivieren und es Komponisten zur Verfügung zu stellen. Das neue Zuhause ist als Gemeinschaftsunterkunft mit dem „Zentrum für Alte Musik Köln“ geplant. Eine musikalisch nicht uninteressante WG könnte da entstehen!

Guido Fischer



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