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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

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am 04.05.2024



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Unterm Strich

Ramsch oder Referenz?

CDs, vom Schreibtisch geräumt.

Wieder ist eines der Klavieralben von Severin von Eckardstein länger liegen geblieben auf meinem Schreibtisch. Das hat Gründe. Eckardstein, inzwischen 44, gehört zu den drei oder vier Weltklassepianisten, die, wie etwa auch Hamelin oder Sokolov, ihre Kunst nicht an Unwichtiges verschwenden. Sein Repertoire ist speziell, seine Lesarten sind so virtuos wie wahrhaftig, man verfällt ihnen sofort, ohne sie gleich auf den Begriff bringen zu können. Jetzt hat er die Kreisleriana op. 16 von Robert Schumann kombiniert mit dem Eroticon op. 44 des glücklosen ostpreußischen Komponisten Adolf Jensen (Artalinna/Socadisc – nur über Onlinehandel). Unbändig wild taucht Eckardstein ein in den polyphon sich verdichtenden Ideenreichtum der acht Schumann’schen Fantasien, und stellt klar, dass die eigentlich nur eine riesige einzige sind. Vergleichsweise keusch die Gestaltung der sieben Charakterstücke Jensens, die jeweils eine antike Gottheit abbilden sollen. Jensen ist begabt dafür, schumanneske Melodien zu erfinden. Aber er weiß nichts daraus zu machen. Wie im Märchen schaut da ein Zwerg bewundernd auf zu einem Riesen.

Robert Schumann, Adolf Jensen

Kreisleriana op. 16, Eroticon op. 44

Severin von Eckardstein

Artalinna/Socadisc – nur über Onlinehandel

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Die schöne Müllerin hat gerade einen mächtigen Lauf. Woran liegt’s? Wo steckt sie gleich das Köpfchen hin? Es rollt wohl schon wieder ein Franz-Schubert-Gedenkjahr auf uns zu, da müssen sich die Barden rüsten. Bariton Florian Boesch ist zurzeit mit der Musicbanda Franui auf Tournee, mit einer genial-grotesken Puppentheater-Fassung. Tenor Julian Prégardien erkundet als „Will The Miller“ innovative Formen des Konzertdesigns. Und konventionell, im Liedduo, befassen sich gleich zwei der derzeit besten jungen Baritonsänger mit dem Zyklus, nach Konstantin Krimmel hat auch Samuel Hasselhorn eine Neueinspielung vorgelegt (harmonia mundi/Bertus). Er übertreibt gern. Souverän setzt Hasselhorn alle Farben seiner schönen Stimme ein, verteilt die Rollen, reduziert sich auf den Sprechgesang, dröhnt forte, säuselt in Kopfstimme. Auch Klavierpartner Ammiel Bushakevitz setzt eigenwillige Akzente. Manchmal denkt man sich: Zu viel des Guten. Und wenn wichtige Worte zu stark betont werden, etwa in
Nr. 15 („Eifersucht & Stolz“), führt das nicht sogar zu einem kleinen Edelknödel? Hoffentlich haben wir uns da verhört.

Franz Schubert

Die schöne Müllerin

Samuel Hasselhorn, Ammiel Bushakevitz

harmonia mundi/Bertus

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Schon etliche Male hatte das kleine Ensemble Marguerite Louise unter dem stilsicheren Dirigenten Gaétan Jarry mit großen Produktionen aus dem Geist des Dix-septième Siècle imponiert. Kurz nach der Premiere Anfang November 2022 in der königlichen Kapelle zu Versailles entstand jetzt dieser Live-Mitschnitt von Marc-Antoine Charpentiers biblischer Tragödie „David et Jonathas“ (Château de Versailles Spectacles/Note 1), mit toller Besetzung. Es ist erst die dritte Gesamtaufnahme, aber die bei weitem prächtigste, sprechendste, ergreifendste im Katalog. Und kaum war die CD-Box auf dem Markt, inklusive DVD und Blu-ray, hagelte es Preise. Zu Recht. Denn wir haben es hier grundsätzlich zu tun mit einem Versuch, die historisch informierte Aufführungspraxis auszuweiten auch auf Ästhetik, Gestik, Haptik und Ausstattung. Marshall Pynkoski (Regie), Jeannette Lajeunesse Zingg (Choreografie) sowie Christian Lacroix (Kostüme) gehen dabei ­total undogmatisch vor, deshalb glückt dieser Tiger­sprung in die Vergangenheit so perfekt. Unbedingt angucken!

Marc-Antoine Charpentier

David et Jonathas

Reinoud van Mechelen, Caroline Arnaud, David Witczak, François-Olivier Jean, Ensemble Marguerite Louise, Gaétan Jarry

Château de Versailles Spectacles/Note 1

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Es war mitten in der Pandemie, als noch die 2G-Regel das Konzertleben terrorisierte, als ich das Leonkoro Quartett zum ersten Mal hörte. Sie spielten drei Rihm-Quartette bei einem Wolfgang-Rihm-Fest in Heidelberg. Und außerdem: Beethoven op. 59/III, Dvořák op. 106 sowie Maurice Ravels F-Dur-Quartett und Robert Schumann A-Dur, op. 41/III. Vier noch sehr junge Meister. Oder waren es Zauberer? Alles, was sie anfassten, wurde zu Gold. Zu diesem Zeitpunkt, Ende Januar 2022, hatten sie noch nicht mal einen einzigen ersten Preis gewonnen. Aber wir hörten Zukunft: Ein Stern ging auf. Sagenhaft die Kraft ihrer Virtuosität, übertroffen nur noch von ihrer kollektiven Empathie und der Leidenschaft ihres Musikverstands. Das dokumentiert nun auch Leonkoros Debut-Album (Mirare/Note 1). Perfekte Pinselführung sorgt für silbern schimmernden Glanz und die Öffnung neuer Räume bei Ravel, grenzwertig die belkantische Klangopulenz im Adagio molto aus Schumanns A-Dur-Quartett. Sie spricht von romantischer Sehnsucht, unerfüllt bis in den finalen Doppelschlag hinein.

Robert Schumann, Maurice Ravel

Streichquartette A-Dur op. 41/III und F-Dur

Leonkoro Quartett

Mirare/Note 1

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Eleonore Büning, 09.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

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