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»Man sagt, sie sei schwierig. Dabei ist sie einfach nur intelligent.« So charakterisierte Jürgen Flimm die Wagner-Heroine Waltraud Meier. Auch Julia Fischer ist zweifellos intelligent, vielleicht gar die Intelligenteste unter Ihresgleichen – jenen jungen Geigerinnen, die im Gefolge von Anne-Sophie (Über-)Mutter seit zehn Jahren die Konzertpodien und die Charts der Klassik-Labels erobern (und die zu einem guten Teil der Münchener Talentschmiede Ana Chumachenkos entstammen).
Frau Fischers Statements zu ihrem Geigenrepertoire ergehen sich denn auch nicht in Floskeln à la »das berührt mich sehr«; vielmehr doziert sie über die gattungsgeschichtliche Einordnung der Werke, deren mitunter problematische Rezeptionsgeschichte, das Verhältnis von Solist und Orchester, die Behandlung der Klangfarben und Spieltechnik (wusste der Komponist mit der Geige umzugehen?) und nicht zuletzt den musikalischen Aussagegehalt. Als wäre ihr das noch nicht genug, präsentiert sich die 28-jährige Münchner Stargeigerin auch noch als veritable Pianistin, die sich nicht scheut, beide Professionen in ein und demselben Konzert zu zeigen.
Dass sie jetzt mit ihrer »Poème«-Einspielung als »Julia Fischer – ganz romantisch« vermarktet wird, nervt sie natürlich – gerade sie, der der Ruf der Intellektuellen, Rationalen vorauseilt. Reflexartig schimpft sie auch auf dieses Klischee, um dann doch – nicht ohne Stolz - anzumerken, dass sie in der Tat erst denke und dann handele! Nicht das berühmte Bauchgefühl leite sie (wie viele Kollegen), sondern ihre Gabe und ihre Lust an der Reflexion: Beim Einstudieren ihres Soloparts (wie auch der Partitur!) will und muss sie sich erst darüber klar werden, warum eine bestimmte Spielweise anderen vorzuziehen ist, bevor sie loslegt. Deshalb arbeitet sie auch nur mit wenigen gleichgesinnten Künstlern zusammen, allen voran dem Mitte März verstorbenen Dirigenten Yakov Kreizberg, mit dem sie sich geradezu ›blind‹ verstand, oder mit den befreundeten Kammermusikpartnern Daniel Müller-Schott und Martin Helmchen. Im übrigen sei ihr die romantische Ader ja nicht fremd. Das gehöre schließlich zu ihrem Beruf, den sie wie kaum eine andere fast als religiöse Berufung versteht.
Nur heißt ›romantisch‹ für sie eben nicht gefühlsduselig. In der Tat, ihr klarer, ungemein sauber intonierter und gleichzeitig energiegeladener Ton lässt gerade beim neuen spätromantischen bzw. impressionistischen Repertoire keine falsche Sentimentalität aufkommen. Als hätte es Methode: Schon die Bachschen Violinkonzerte präsentierte sie gerade nicht historisierend- asketisch und Paganinis teuflisch schwere Etüden eher zurückhaltend- kontrolliert. Anti-Klischee oder veritabler Eigensinn? In jedem Falle eine höchst diskussionswürdige Synthese von Intellektualität und Emphase, die ihresgleichen sucht.
Und ›schwierig‹? Für Journalisten insofern, als die 28-Jährige keine ›doofen‹ Fragen nach ihrem privaten Leben beantwortet. Selbst die Tatsache, dass sie inzwischen Mutter geworden ist – das Alter ihres Sohnes gibt sie nicht preis –, hat, so beteuert sie, keine Auswirkungen auf ihr Künstlertum – wenn man davon absieht, dass sie nur noch halb so viele Konzerte (etwa 40 bis 50) pro Jahr gibt wie bisher.
So bleibt denn auch die Frage, ob es für die noch junge Mutter ›Zielkonflikte‹ zwischen privatem und öffentlichem Zeitmanagement gibt, (besser) ungestellt. Im übrigen ist larmoyantes Klagen über das heimatlose Hotelleben eines Künstlers oder gar öffentlich zur Schau gestelltes Burnout ihre Sache nicht. Äußerste Disziplin seit Kindesbeinen an – ohne elterlichen Zwang! – und eine genaue Kenntnis, was sie sich zumuten kann und was nicht, bewahren sie davor. Da sollen die Götter nicht neidisch werden! Schließlich scheitert auch der letzte Versuch, irgendein ›Problem‹ zu finden: Selbst das mit Respighi und Suk nicht eben populäre Repertoire ihrer »Poème«-Platte hat ihr neues Major-Label offenbar freudig abgesegnet. Vor allem Suk sei ihr eine Herzensangelegenheit, war die Musik des Dvořák-Schülers doch im Hause ihrer Mutter, der slowakischen Pianistin Viera Krenková, immer präsent. Also doch noch etwas, na ja, fast Privates.
Christoph Braun, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2011
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