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(c) Joachim Gern
Schubert mal nicht klassisch War Franz Schubert ein „Singer-Songwriter“? Er sang ja ganz gerne selbst – auch wenn er die gekonnte Interpretation seiner Kompositionen lieber Profis überließ. Der Sänger Gisbert zu Knyphausen und der Pianist Kai Schumacher sehen den Klassiker des Kunstliedes jedenfalls durchaus in dieser modernen Rolle – und zusammen mit weiteren acht Musikerinnen und Musikern heben sie nun elf berühmte Titel in populäre Klangsphären des 21. Jahrhunderts. Wie viele andere spüren die Arrangements den zahlreichen Ansatzpunkten nach, die Schuberts reichhaltige Klavierparts liefern. Alles ist freilich in neue Farben getaucht: Synthesizer, spitze Streichertremoli und gänsehauterzeugendes Beckenzischen erschaffen etwa die eisige Welt des „Leiermanns“. Vieles ist auch bewusst sparsam gehalten: Bekanntlich oft verkitscht, kommt das „Ständchen“ so reduziert daher, dass sich ein ironisch doppelter Boden auftut.
Kammermusikalisch auf die Barrikaden Beethoven, heißt es ja immer wieder, sei ein Revolutionär gewesen – und das, je nach Sichtweise – entweder wegen seiner eigenen politischen Einstellung, wegen seiner alle Regeln und alten Muster durchbrechenden Musik oder wegen beidem. Was genau ist eigentlich das „Revolutionäre“ in der Musik generell? Das haben sich der Cellist Eckart Runge und der Pianist Jacques Ammon gefragt und mit Unterstützung durch den Arrangeur Wolf Kerschek ein Programm mit Werken zusammengestellt, deren Urheber eines eint: Sie gelten als musikalische Querköpfe, als Umstürzler, als Unruhegeister. Der Klassik-Titan hat das erste Wort mit seiner vierten Cellosonate, doch dann geht’s in ganz andere Welten, in die von Amy Winehouse, Jimi Hendrix, David Bowie, Franz Zappa und Stevie Wonder, alles mitreißend gespielt, aber in so feine Kammermusikgewänder gekleidet, dass man sich unwillkürlich fragt, ob da noch viel vom revolutionären Geist übrigbleibt. Beethoven lugt noch einmal mit bearbeiteten Sätzen aus op. 110 und 130 um die Ecke.
Tiefe Cello-Schichten Silbrige Cellokantilenen, eingebettet in eine mal flüsternde, mal wolkig-diffuse Klanglandschaft aus teils elektronischen, teils raffiniert akustisch arrangierten Hintergründen … Der Cellist und Komponist Peter Gregson, der seinen ersten großen Erfolg einst mit einem „rekomponierten“ Bach-Album feierte und auch eindrucksvolle Filmmusiken schrieb, hat längst seine eigene Stimme gefunden. Und die zielt stets auf die langsame, meditative und gesangliche Seite seines Instruments ab. Das Nachlauschen immer neuer, wie improvisiert angestimmter Kantilenen scheint sich in einer großen Variationsreihe zu vollziehen, als seien die neun Tracks des Albums tief im Inneren mit einer einzigen Idee verbunden – vielleicht der titelgebenden Patina, die man hörend freilegen muss.
Fans des vision string quartet wissen, dass sie bei den Livekonzerten des Ensembles gleich zwei Events erleben: Die vier Musiker spielen nämlich nicht nur das große klassische Repertoire. Danach zeigen sie ihre Wandlungsfähigkeit, bei der sich die zwei Geigen, die Bratsche und das Cello in eigenen Werken, oft auch improvisierend, in eine waschechte Band verwandeln. Nach seinem fulminanten Debüt mit Mendelssohn und Schubert widmet sich das Ensemble nun für sein zweites Album genau dieser Seite – mit Eigenkompositionen, die zwischen Jazz, Pop, Rock und Funk angesiedelt sind, arrangiert für den rein akustischen Quartettsound, dem die vier eine solche Fülle an Facetten abgewinnen, dass man mitunter ein Drumset oder Bongos zu hören glaubt.
Oliver Buslau, 25.09.2021, RONDO Ausgabe 4 / 2021
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