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(c) Kitfox Valentin/ECM Records
Cyrillus Kreek, nie gehört. Kommt der selbst zum Interview? Nein, klärt uns die Pressestelle auf, der Mann ist 1962 gestorben. Er hinterließ mehr als 500 Werke, meist sakralen Charakters. Gründlich vergessen, schließen wir daraus. Der Dirigent Jaan-Eik Tulve, der den estnischen Chor Vox Clamantis gegründet hat und leitet, gibt uns Recht. „Zur Zeit der sowjetischen Besatzung waren Kreeks Werke verboten“, sagt er. Ähnlich wie alle religiös fundierte Musik jener Zeit. „Davor aber“, so Tulve, „war er recht berühmt“.
Soll er auch wieder werden. Außer seinen „Psalms of David“ (zum Beispiel bei den King’s Singers) findet man ihn bislang kaum auf CD. Die suggestive Hymnik jedoch, schwer zu singen, überzeugte Label-Legende Manfred Eicher offenbar so nachhaltig, dass er dem Chor für sein viertes A-cappella-Album bei ECM ein umfassendes Kreek-Programm gönnte. Dreizehn meist kurze Stücke sind das, in denen der estnische Komponist die Schöpfung des Herrn und den Opfertod Jesu preist. Religiöse Gesänge, in denen baltische Volksweisen mit eingebacken und aufbewahrt sind. Ähnlich wie Bartók und Kodály in Ungarn, sammelte auch Kreek akribisch Melodien und Motive seiner Heimat. Und machte sie zum Material von Sakralmusik.
Dies folkoristische Arom gibt den Gesängen eine ferne, milde Würze. Es sorgt für einen leicht adventlichen, aber nicht ‚new-agigen‘ Charakter. Der tonale Rahmen, in dem sich auch seine Landsmänner Arvo Pärt, Erkki-Sven Tüür und andere aufhalten, wird von Creek feierlich gewahrt. Wobei Creek russisch-orthodoxen Glaubens war; was im heute lutheranisch dominierten Estland eher ungewöhnlich dasteht. Es hat zur Verzögerung der Wiederentdeckung beigetragen.
Der Titel der CD „The Suspended Harp of Babel“ bezieht sich auf die biblischen Psalmen Davids (welcher die Harfe spielte). Entsprechend wird einiges hier von der Schlüsselfidel (Nyckelharpa) begleitet – einem Streichinstrument, dessen Saiten über Tasten verkürzt werden. Einiges auch von der Kannel (Kantele), einer griffbrettlosen Kastenzither. Die meisten Stücke werden a cappella gesungen.
Das Ensemble Vox Clamantis, 1996 gegründet und mit einem Grammy bekrönt, hat sich auf Komponisten seiner estnischen Heimat spezialisiert. Benannt nach einem Zitat aus dem Buch Jesaja, beschäftigte man sich ursprünglich mit mittelalterlicher Polyphonie. „Ich ging nach Paris“, so Jaan-Eik Tulve, „um mich mit Gregorianik zu beschäftigen, und traf Olivier Messiaen, der sowohl mich als auch meine Frau stark beeindruckte.“ (Auch ein Album mit Musik von Helena Tulve hat man bei ECM gemacht.)
Die meditative, innerlich gelöste Religiösität strahlt keinerlei Dogmatik aus. Jaan-Eik Tulve selbst, der „aus musikalischen Gründen zum Katholizismus konvertierte“, wie er sagt, gehört in Estland einer Minderheit an. Sein Chor – und ebenso der Komponist, den man hier rehabilitiert – haben Glück gehabt, bei ECM unterzukommen, wo man ohne ideologischen Hautgout (und ohne New Age-Gehabe) glücklich wird. Selten gelang eine Wiederentdeckung so geschmackvoll.
ECM
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