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Anfang der 1950er Jahre herrschte in den europäischen Musikzirkeln helle Aufregung. Da versuchte doch plötzlich eine Komponistenriege mit zum Teil ideologisch aufgeladenem Furor, sich vom musikalischen Erbe loszusagen und nur noch nach vorne zu schauen. Zu diesen Hardlinern gehörten Boulez und Stockhausen. Und auch der Italiener Luigi Nono entpuppte sich schnell als Exponent einer radikalen Nachkriegsavantgarde. Doch der gebürtige Venezianer, der u.a. beim Monteverdi- Spezialisten Gian Francesco Malipiero studiert hatte, konnte fortan noch so avanciert komponieren – bis ins hohe Alter schaffte er es nicht, seine musikalische Herkunft zu verleugnen. Nonos Vokalwerke besitzen nämlich diese lodernde Intensität und auch magische Schönheit, die von Ferne die große italienische Madrigal- Tradition der Gesualdos & Co. in Erinnerung ruft. Und genau diese geistige Nähe zu den einstigen Klangrevolutionären offenbart auch der 1961 uraufgeführte A-Cappella-Satz „Sarà dolce tacere“, mit dem das von seinem Chefdirigenten Marcus Creed geleitete SWR Vokalensemble Stuttgart nun einen etwas anderen, neuen Blick auf das Vokalparadies Italien wirft.
Wie bereits bei den bisher veröffentlichten zwei Länder-CDs, die nach Amerika und Russland führten, entpuppt sich das aktuelle Chor-Programm ebenfalls als eine faszinierende Schatztruhe. Bis auf drei Chorsätze von Verdi stammen alle anderen Stücke von italienischen Komponisten, die ihre Spuren im 20. Jahrhundert hinterlassen haben. Da begegnet das lyrische Melos eines Ildebrando Pizzetti den klangflammenschlagenden Organismen aus der Feder des Sonderlings Giacinto Scelsi. Und das Finale bilden fünf „Nonsense“-Madrigale von Goffredo Petrassi, bei denen man es förmlich hören kann, wie einem Fräulein eine lange Nase wächst und wächst.
Mit diesem musikalischen Spaß hat das SWR Vokalensemble Stuttgart erneut ein landesspezifisches Chorgesang-Panorama abgerundet, das vor allem eine musikalische Abenteuerreise sein soll, wie Chor-Managerin Cornelia Bend unterstreicht: „Das Ensemble versteht sich von jeher als Forscher und Entdecker. Und uns interessiert bei dem Aufnahmeprojekt nicht nur, ob es einen ländertypischen Klang gibt. Wir wollen gerade die unterschiedlichen Facetten und Richtungen in der Chormusik des 20. Jahrhunderts auffächern.“ Auf der allerersten, 2013 veröffentlichten und gleich mit dem „Preis der Deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichneten CD „Amerika“ reichte der Bogen von Copland und Bernstein bis zu Cage und Reich. Und beim „Russland“-Porträt begegnete man u. a. Glinka und Gubaidulina.
Nun hat dieser seit 2003 von Marcus Creed geleitete Weltklassechor also die Gesangsnation Italien aus überraschenden Winkeln beleuchtet. Und die nächsten Ziele dieser weder zeitlich noch geografisch begrenzten CD-Reihe stehen schon fest. Im Herbst erscheint „Großbritannien“. An Polen und Finnland arbeitet man gerade. Und irgendwann, so Cornelia Bend, ist natürlich auch die deutsche Chorszene dran – wenngleich die Qual der Werkauswahl da besonders groß sein wird.
hänssler CLASSIC/Naxos
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