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„Singen war für mich wie eine Befreiung“, erzählt der 1978 geborene Franzose. Mit elf Jahren überzeugte sein Musiklehrer die Eltern, den begabten Jungen Geige lernen zu lassen. Er übte stundenlang, spielte die schwere romantische Literatur und blieb doch unzufrieden: „Man wird immer dafür bestraft, wenn man zu spät anfängt ein Instrument zu lernen.“ Das Singen mit der Kopfstimme habe er zwar immer ausprobiert: „Aber es war nur ein Spiel“. Nach der Schule gab es eine kurze wilde Phase des Suchens: „Ich war in einem Jahr an vier verschiedenen Konservatorien“, lacht Jaroussky. Alles hat er ausprobiert: „Komposition, Geige, Klavier, Singen.“ Doch die Odyssee dauerte nicht lange: Er traf auf Nicole Fallien, die bis heute seine Gesangslehrerin geblieben ist. Und das Erlebnis eines Konzerts mit einem Soprancounter gab schließlich den Ausschlag für die Stimmlage.
In vollen Zügen genießt Jaroussky das Gefühl, wieder jung zu sein. Denn bei einem Instrumentalisten heiße es ganz schnell, man sei alt – zu einem Zeitpunkt, wo manche Sänger noch nicht einmal mit ihrer Karriere begonnen hätten. Vielleicht hängt es ein wenig mit seiner Opernrolle zusammen – im Gespräch macht sich Jaroussky jedenfalls viele Gedanken über seine Zukunft. Der Unterschied ist, dass er dabei ausgesprochen fröhlich wirkt.
Viel erzählt Jaroussky von den historischen Sängern, deren Partien die Countertenöre heute singen. Während sich viele Kollegen, die eine große Höhe besitzen, auf Farinelli stürzen, bleibt Jaroussky kritisch: Der berühmte Kastrat habe nur eine sehr kurze Karriere gemacht und auch gar nicht so viele interessante Partien gesungen. Jaroussky dagegen plant für eine seiner nächsten CD-Projekte eine Hommage an einen anderen Kastraten: Carestini. Er gerät ins Schwärmen, als er von der großen stilistischen Spannbreite dieses Sängers erzählt. Mehr als 35 Jahre habe dessen Karriere gedauert, überall in Europa sei er aufgetreten und habe dabei ein unglaublich breites Repertoire gesungen: Er begann mit Scarlatti, hob Rollen für Händel aus der Taufe und beendete seine Laufbahn mit Hasse und Gluck. Ein guter Schauspieler sei er auch gewesen – ein Aspekt, der heute oft vergessen werde: „Viele Kastraten waren gute Schauspieler“, weiß der Countertenor.
Und noch etwas gefällt Jaroussky an Carestini: Der Sänger begann als Sopranist und sei dann bis zum Alt gesunken. Durchaus ein Vorbild: Auch er wolle nicht immer so hoch singen. Oft seien Sopranisten in der Oper sowieso nur Zirkus. Und auch andere Counter-Klischees lassen ihn unberührt: „Die Leute sagen, wir hätten Engelsstimmen“, sagt Jaroussky, wobei er amüsiert die Hände faltet und den Blick frömmelnd nach oben richtet. „Aber wir sind nicht nur Engel.“ Ihn jedenfalls reizt das dramatische Fach, und mehr als einmal schwärmt er von schillernden Figuren wie Nero, den er in Händels Agrippina darstellen durfte.
Ganz ohne Hindernisse war die Hinwendung zum barocken Repertoire übrigens nicht, gesteht der Sänger. Die erste Begegnung mit Monteverdi, im Jahr 2000 mit Jean-Claude Malgoire, sei beispielsweise „wie ein Schock“ gewesen: „Die Musik ist viel enger an den Text gekoppelt als im 18. Jahrhundert“. Doch schnell war er gerade auch in dieser Welt zu Hause: Die Presse wurde gerade bei den Monteverdi-Aufführungen auf den jungen Countertenor aufmerksam. Heute beschreibt er den Unterschied zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert schlicht als „zwei Freuden“: Das 18. Jahrhundert, das sei Freude an der Stimme, an der puren Virtuosität. Das 17. Jahrhundert fasziniere ihn durch seine Konstruktion, durch Intellektualität und die raffinierten Libretti: „Die Rollen sind nicht schwarz oder weiß, es gibt Komisches und Ernstes, junge Frauen, alte Frauen, alle modernen Gefühle – es ist das Leben!“
Virgin/EMI
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