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Die Geste kennt man von Tim Mälzer, dem Fernsehkoch. So wie der mit flatternden Fingern vor dem Mund die Kräftigkeit von Wintersalaten preist, schmeckt Paavo Järvi der Saftigkeit eines Bruckner’schen Bogenstrichs nach. Wenn Järvi Bruckner probt mit dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, dem der amerikanisch-estnische Dirigent seit 2006 als Chefdirigent vorsteht, bekommt er genau den Strich, den er an deutschen Orchestern so schätzt. »Man spürt von der ersten Minute, die man vor diesem Orchester steht, die Tradition in der Beschäftigung etwa mit Bruckner oder Brahms. Der Strich ist länger, saftiger, tragender.« Bruckner ist gerade »one of the most amazing journeys« für Paavo Järvi, dem international präsenteren der beiden dirigierenden Söhne der 70-jährigen Pultkoryphäe Neeme Järvi. Eigentlich mag er keinen brutalen, keinen mit der Faust dirigierten Bruckner. Doch an manchen Stellen – und er singt eine solche an mit jetzt geballter Faust – komme aus diesem Bruckner »a mad man« hervor anstelle des stets ehrfürchtigen Devoten. Der ziehe sich dann aber sofort wieder zurück mit einem unterwürfigen »I am sorry«. Järvis Bruckner, er könnte auch Freuds Bruckner sein.
Paavo Järvi übergibt Verantwortung an Dritte. »Lass dir Zeit«, sagt er dem hr-Oboisten, »wir warten auf dich.« »You conduct, we follow you.« Die Musiker mischen sich ein, fragen nach. Das sind sie gewohnt – Järvis Vorgänger als hr-Chef, Hugh Wolff, ist ja gar noch ein ausgeprägterer Kommunikationsarbeiter gewesen. Das sei ein weiterer großer Unterschied zwischen seinem deutschen und seinem amerikanischen Orchester, erklärt Paavo Järvi. Das 1895 gegründete Cincinnati Symphony Orchestra, dessen Musikdirektor er seit 2001 ist und mit dem er im April für zwölf Konzerte durch fünf Länder auf Europatournee geht, sei wie eine gut geölte Maschine: präzise, dafür ein bisschen mechanisch. In Deutschland ist der Grad der individuellen Vorbereitung vielleicht nicht so hoch, doch was ich speziell in Frankfurt so schätze: Hier will man wissen, was man spielt und warum man es so spielt. Ich selbst bevorzuge Orchester, die mit Verständnis für die Sache spielen, und nicht solche, die perfekt spielen, dabei aber nicht verstehen, was sie tun«. Und so, sagt der Chef der zwei Kontinente, sei sein Ziel, »aus dem Cincinnati Orchester das europäischste der USA zu machen. Wo bei aller Brillanz, allem Muskelspiel auch nach dem Warum gefragt wird«.
Rondo Redaktion, 14.06.2014, RONDO Ausgabe 2 / 2008
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