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Ganz unbefangen kann und sollte man sich Vesselina Kasarova nicht nähern. Nicht etwa, weil die weltweit gefeierte Mezzosopranistin eine hochtrabende Diva wäre und Interviews, wenn überhaupt, nur gelangweilt-abgebrüht über sich ergehen ließe. Sondern weil sie, im Gegenteil, alles, was mit ihrem Beruf zu tun hat, auch die »Publicity«-Arbeit, sehr ernst nimmt, ja geradezu moralisch auflädt, wenn sie bekundet, Menschen röntgenartig auf alles Falsche, Klischeehafte, aber auch Echte und Ehrliche durchleuchten zu können. Argwohn hegt die hochsensible Künstlerin denn auch gegenüber PR-Strategen, die aus ihr etwas zu machen versuchen, was nicht zu ihr passt oder ihr gar zuwider ist – wie vor etlichen Jahren in Salzburg die aufreizenden Plakate der »Sensation Kasarova«.
Gottlob wurde aus dem Interview kein Gesinnungstest für den Interviewer! Vielmehr durfte dieser einer ebenso selbstbewussten wie selbstreflektierten Frau zuhören, die über ihr eigenes künstlerisches Ego hinaus bemerkenswert kritisch auf dessen Umfeld, den Klassikmarkt und -betrieb blickt. Die 43-Jährige staunte nicht nur über die 20-jährige Dauer, sondern auch über die Konstanz und Geradlinigkeit ihrer bisherigen Karriere, in der sie immer ihrem Lebensmotto zu folgen suchte, das da lautet: »Balance und Kontrolle«. Das gilt für ihre Stimme, deren einzigartige, sprichwörtliche Ausdruckstiefe sich auf eine bestens austarierte Atemtechnik und Körperbeherrschung gründet. Das gilt aber ganz existenziell auch für die Künstlerin und Frau, die die masochistischen Auswüchse des internationalen Jetset-Berufes mit dem Alltag einer Ehefrau und Mutter in Einklang bringen will. Dass Letzteres kurz nach der Geburt ihres Sohnes in eine tiefe Sinnkrise führte, bekennt die in Zürich lebende Bulgarin ebenso freimütig wie die Probleme Mitte der Neunzigerjahre, die sie fast resignieren ließen. Nicht, weil sie sich selbst etwa zu früh verausgabt hätte, sondern weil sie vom Opern- und Konzertbetrieb zutiefst enttäuscht war: Allzu oft wurde, was in wochenlanger Probe akribisch einstudiert war, in den Aufführungen einem mittelmäßigen Durchwurschteln geopfert. Explizit nimmt sie hiervon zwei Vorbilder aus: Edita Gruberova und Nikolaus Harnoncourt. Beide haben sie je auf ihre Art gelehrt, sich Zeit zu nehmen: für ihren Atem, für die Phrasierung, für das psychologische Verständnis ihrer Rollen – mithin für sich selbst als Künstlerin und Mensch.
Ihren selbstzerstörerischen Perfektionismus hat die Kasarova inzwischen reduziert, nicht aber ihre prinzipielle Vorsicht: Nach wie vor lehnt sie Rollen ab, die sie kurzfristig ins Event-Scheinwerferlicht rücken würden, mittel- und langfristig aber ihr wertvollstes körperliches Gut, ihre Stimmbänder, irreparabel schädigen könnten. So gern jeder Intendant und Dirigent diese einzigartige Sängerin, die gelernte Schauspielerin (und ausgebildete Pianistin) ist, längst auch für hochdramatische Rollen Verdis und Wagners engagiert hätte: Sie weiß genau, was sie kann und was (noch) nicht. Was sie kann, das ist jedem Mozart-, Rossini-, Donizetti- sowie Monteverdi- und neuerdings auch Offenbachliebhaber bestens geläufig. Selbst die Händelgemeinde dürfte angesichts ihrer neuesten, vor Farben nur so glühenden Einspielung von Carestini-Arien hingerissen sein. Und wenn sie in Zürich gerade Bizets »Carmen« von allen Männer verschlingenden Zigeunerinnenklischees befreit hat, so zeigt auch dies: Jede ihrer Rollen wird »eine Kasarova« – unverwechselbar ehrlich.
RCA/Sony
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