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(c) Mark Allan
Es ist kein Geheimnis, dass Sir Simon Rattle ein großer Jazzfan ist. Als der britische Maestro noch Chef der Berliner Philharmoniker war, brachte er so manches Projekt mit einem gehörigen Anteil Swing und Blues zur Aufführung. Auch als Chefdirigent des London Symphony Orchestra lebt er seine Jazzbegeisterung weiter aus. So hat er nun unter dem orchestereigenen Label LSO Live ein Album mit Werken veröffentlicht, die eine gelungene Melange aus Jazz und Klassik bieten.
Als Eröffnungsstück wählte er Leonard Bernsteins „Prelude, Fugue and Riffs“. Dabei handelt es sich um eine ausgeschriebene Jazz-in-Concert-Hall-Komposition, die von Bernstein für ein Jazz-Ensemble mit Solo-Klarinette verfasst wurde. Dass das Werk keine reine Jazznummer ist, offenbart bereits sein Titel: Präludium und Fuge ist ein barockes Satzpaar aus der Bach-Tradition, ein Riff hingegen ein kurzes melodisch oder rhythmisch prägnantes Motiv, das ostinat wiederholt wird. Auch Igor Strawinskis „Ebony Concerto“ ist eine vom Jazz geprägte Komposition für Solo-Klarinette, allerdings wirkt hier eine Big Band als Begleitensemble. Es wurde für keinen geringeren als Woody Herman geschrieben, dabei war das Ebenholz seiner Klarinette namensgebend. Im ersten Satz präsentiert sich das Soloinstrument in Evergreen-Manier, ihr Solo hebt sich vom Chorus der andern ab. Auch die übrigen zwei Sätze, ein Blues und Variationen, beruhen auf Chorus-Solo-Wechseln. In „Nazareno“, dem dritten Werk des Albums, hat der venezolanische Perkussionist Gonzalo Grau Themen aus der „Markuspassion“ des argentinischen Komponisten Osvaldo Golijov (*1960) verarbeitet und für zwei Pianisten und Orchester arrangiert.
Als Solisten für „Nazareno“ konnte Rattle das renommierte Klavierduo Katia und Marielle Labèque gewinnen, das sich auch mit jazzigen Werken einen Namen gemacht hat; so nahmen die französischen Schwestern etwa ein vielbeachtetes Album mit George Gershwins „Rhapsody in Blue“ auf. Auch mit den Latino-Rhythmen von Golijov kommen die beiden bestens zurecht, geradezu einen hypnotischen Sog entwickeln der Ostinato-Rhythmus des ersten Satzes, und die elektrisierten kubanischen Rhythmen des dritten Satzes „Guaracha y Mambo“ lassen einen vom Sessel aufzuspringen, um das Tanzbein zu schwingen. Urplötzlich scheint sich das LSO da in eine Straßenkarnevalsband verwandelt zu haben, wozu die hervorragenden Gast-Perkussionisten Gonzalo Grau und Raphaël Séguinier entscheidend beitragen. Auch in den anderen Stücken können die Londoner punkten. Druckvoll und brillant wie eine Südstaaten-Brassband präsentieren sich die Blechbläser in Bernsteins „Prelude“, klanglich gut ausbalanciert mit den Saxofonen und auf den Punkt phrasierend in Strawinskis „Ebony concerto“. Ebenfalls einen hervorragenden Job im Strawinski-Konzert macht Chris Richards, seines Zeichens Soloklarinettist des LSO, der mit wunderbar leichtem Ton keck durch den Solopart wirbelt. Kurzum: Ein in seiner Intensität unmittelbar anspringendes Jazzalbum von einem der großen europäischen Orchester.
LSO/Note 1
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