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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Ludwig van Beethoven

Sonaten für Klavier und Violine op. 12/3 & op. 47/ Sonaten für Klavier und Violine Nr. 1-10/ Sonaten für Klavier und Violine – Teil 1

Viktoria Mullova, Kristian Bezuidenhout/ Renaud Capuçon, Frank Braley/ Alina Ibragimova, Cédric Tiberghien

Onyx Classics 4050 (LC 19017)/ Virgin Classics 50999 642001 0 1 (LC 7873)/ Wigmore Hall Live 0036

Es ist kaum zu glauben: Zwischen Mozart und der "Kreutzer-Sonate" liegen keine zwei Jahrzehnte. 1802 begonnen, führte Beethoven sein op. 47 endgültig heraus aus dem Dunstkreis der häuslichen Kammermusik, in dem Werke für diese Besetzung bis dahin steckten. "Geschrieben in einem sehr konzertanten Stil ähnlich einem Konzert", setzte er in der Originalausgabe stolz dem Titel hinzu – eine Warnung wohl für die, die diese Sonate wagten zu spielen, und auch die, die sie hörten.
Wie schockierend das Werk einmal geklungen haben mag in den Ohren von Beethovens Zeitgenossen, kann man ahnen, wenn man hört, wie Viktoria Mullova und Kristian Bezuidenhout sie spielen. Die eigentlich klassisch ausgebildete Geigerin nähert sich mit dem in Südafrika geborenen Fortepianisten auf historischen Instrumenten dem vermutlichen Originalklang und macht die Gefährlichkeit dieser Musik spürbar: Welche ungeheure Zumutung sie war für die wenigen Interpreten, die ihr technisch gewachsen waren, und für das Publikum, das von einer Violinsonate gehobene Unterhaltung erwartete und mit einem weit über halbstündigen Werk konfrontiert wurde, das in allen Belangen den Rahmen sprengte.
Spannend und auch ein wenig beängstigend, auf jeden Fall riskant und gefährlich klingt die sogenannte "Kreutzer-Sonate" bei Mullova und Bezuidenhout aber nicht allein des Instrumentariums wegen. Riskant und gefährlich ist diese Musik – wieder –, weil die beiden, beflügelt von der klanglichen Transparenz und Prägnanz ihrer Instrumente, den Notentext so genau absuchen nach Überraschungen und Fallstricken, nach den für Beethoven typischen plötzlichen dynamischen Explosionen oder den Tempo- und sogar Metrumswechseln, mit denen hier alle Erwartungen hintergangen werden. Der Widmungsträger Conradin Kreutzer, als Geiger eine Berühmtheit damals, weigerte sich, das angeblich "unspielbare" Werk einzustudieren, und von den Aufführungen, die es durch andere Musiker gab, wissen wir, wie ungeheuer verstörend sie waren für das Publikum damals. Mit Mullova und Bezuidenhout fällt es nicht schwer, das nachzuvollziehen.
Auch der Franzose Renaud Capuçon ist ein konventionell ausgebildeter Geiger, doch im Gegensatz zu seiner älteren Kollegin Mullova bleibt Capuçon seinem modernen Instrument treu, auch bei Beethoven. Das muss kein Nachteil sein. Capuçon fehlt es auch nicht an Willen, die Revolution erlebbar zu machen, die Beethoven anzettelte. Er bringt die Energie und die Emphase mit, die es wohl braucht, zumindest für den mittleren und späten Beethoven. Nicht ganz so verstörend genau und blitzschnell wie Mullova, aber doch aufmerksam registriert Capuçon die formalen und klanglichen Erschütterungen dieser Sonate und auch der anderen. Technisch hat er alles im Griff: fester noch als es Mullova möglich ist mit alten Darmsaiten und historischem Bogen.
Sein Partner am Klavier, Frank Braley, beeindruckt Capuçon damit allerdings nicht: Braley spielt eher artig als aufregend, fügt sich in die Rolle des Begleiters, die Beethoven aber gar nicht mehr von ihm verlangt. Eine auch von diesem Standpunkt aus gesehen ausgesprochen klassische Aufnahme der Sonaten also mit einem sehr guten, gleichwohl eben klassischen Geiger, der trotz aller Dynamik in allen Lagen ausgesprochen schön und sicher klingt – vielleicht ein klein wenig zu schön und sicher für diese Musik.
Wer lieber den modernen als den historischen Klang mag, aber es dennoch richtig knistern hören möchte, wer die Spannung liebt und auch nichts vom feinen Dialog verpassen will, den Beethoven in die Zweistimmigkeiten seiner Sonaten komponiert hat, dem sei ein drittes Duo empfohlen: die gebürtige Russin Alina Ibragimova und der Franzose Cédric Tiberghien. In der altehrwürdigen Wigmore-Hall, der besten Adresse Londons für Kammermusik, haben die beiden jungen Musiker an drei Abenden alle zehn Klavier-Violin-Sonaten von Beethoven aufgeführt und jetzt den ersten Teil dieses Projekts beim hauseigenen Wigmore-Hall-Label als Konzertmitschnitt präsentiert. Zwar steht die größte Kraftprobe, eben die "Kreutzer-Sonate", noch aus, doch schon die frühen, wenige Jahre zuvor entstandenen Opusnummern 12, 23 und 30 spielen die beiden mit solcher Intensität und inneren Freiheit, dass man sich um op. 47 und das Spätwerk Opus 96 keine Sorgen machen muss.
Mit großer innerer Freiheit entwickeln Ibragimova und Tiberghien die einzelnen Sätze, wechseln spielerisch Vorder- und Hintergrund, thematische Führung und Begleitung, ergänzen und belauschen sich und finden einen gemeinsamen Tonfall, ohne den jeweils eigenen Klangcharakter zu schmälern. Auch auf dem modernen Konzertflügel und einer Geige mit Stahl- und Kunststoffsaiten klingt dieser Beethoven darum authentisch: Wie Mullova und Bezuidenhout ermöglichen Ibragimova und Tiberghien, über diese Werke wieder zu staunen – nach mehr als zweihundert Jahren.

Raoul Mörchen, 16.10.2010


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