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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Johann Sebastian Bach

Fugen aus dem "Wohltemperierten Clavier"

Emerson String Quartet

DG/Universal 477 7458
(57 Min., 12/2007) 1 CD

Die Fuge ist die höhere Mathematik der Musik. Da aber die Musik keine exakte Wissenschaft sein kann, wirkt "Mathematik" in ihr nur als Bauprinzip, dessen Konstrukt aufgeladen werden muss mit Affekt, mit Gestimmtheit, mit Emotion – kurz: mit Bedeutung. Keiner wusste das besser als Johann Sebastian Bach, und kein Ensemble hat es besser verwirklicht als das US-amerikanische Emerson String Quartet. Bereits vor fünf Jahren erschien dessen Version der "Kunst der Fuge" und wurde nicht nur mit Kritikerlob überhäuft, sondern erstaunlich oft auch gekauft. Nun versuchen sich die Vier an Fugen aus dem "Wohltemperierten Clavier", an Musik mithin, die für ein Tasteninstrument konzipiert ist. Aber große Komponisten nach Bach erkannten, dass deren kontrapunktisches Potential von vier Streichern nicht nur strukturklarer ausgeleuchtet werden kann, sondern eben auch affektgeladener. Mozart, den der Baron van Swieten auf diese Kleinode aufmerksam machte, arrangierte fünf Fugen aus dem zweiten Buch für Streichquartett, der Rest dieser CD geht aufs Konto eines gewissen Emanuel Aloys Förster, der befreundet war sowohl mit Mozart als auch mit Haydn, der aber als Komponist sogar im Zeitalter der CD noch auf Wiederentdeckung harrt.
Die Emersons halten sich auch hier stets an ein "So wenig wie möglich, so viel wie nötig". Das heißt, der diesen Fugen innewohnende Gefühlswert wird weder überfrachtet noch unterspielt, weder wird im vermeintlichen period style schockgefroren noch romantisch gegrillt. Die Fuga XXIV des ersten Bandes zeigt das besonders schön, die alle zwölf Noten der chromatischen Skala nutzt – Bachs Biograf Spitta nannte sie eine "Dornenkrone". Das komplexe Geflecht kontrapunktischer Linien, also die Horizontale, wird höchst behutsam und doch nachempfindbar eingefärbt von Emotion, mithin der Vertikalen. Dieselbe Fuge, auf dem Cembalo gespielt, klingt viel eher nach mathematischem Substrat, das heißt, Spitta kannte vermutlich Försters Arrangement. Bewegendes Gegenstück zur "Dornenkrone" ist die Fuga IX aus dem zweiten Buch, transkribiert von Mozart. Bach schlägt hier einen antikisierenden Ton an, in Richtung der Renaissance-Vokalmesse, und wiederum sind die vier Streicher dem Tasteninstrument überlegen durch ihre größere Nähe zur menschlichen Stimme. Ein großes intellektuelles Vergnügen, diese CD, gewirkt aus dem Licht der Aufklärung und dem Schatten des Gemüts.

Thomas Rübenacker, 16.08.2008


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