Bei den ersten Tönen von „Catharsis“ käme man nicht unbedingt auf die Idee, dass dieses Album von einem Gitarristen stammt, den Kritiker schon mal als „heißblütig und manchmal brutal“ bezeichnet haben. Man hört da statt erbarmungslosem Saitenkrach vielmehr eine Trompete (gespielt von Tom Ridderbeekx), eine Posaune (Sam Thomas) und ein Saxofon (Jesse Schilderink), die fein abgestimmt miteinander Pingpong spielen; und es dauert eine Weile, bis Michiel Stekelenburg mit leicht angezerrter Gitarre ins Geschehen einsteigt.
Nach eigenen Worten will der Niederländer mit seinem dritten Album Fragen nach der Vereinbarkeit von maskuliner Identität und emotionaler Tiefe und Sensibilität nachgehen. Unabhängig von dem Einwand, ob das tatsächlich zwangsläufige Gegensätze sind, überzeugen Stekelenburgs kompositorische Antworten.
Diese sind für ein Septett geschrieben, dem neben den bereits erwähnten Bläsern Sjoerd van Eijck am Klavier, Thomas Pol am Kontrabass und Jasper van Hulten am Schlagzeug angehören. Nicht selten klingen die Songs auf „Catharsis“ deshalb wie von einer modernen Jazzrock-Großformation à la Snarky Puppy gespielt. Stekelenburgs Arrangements räumen den Bläsern viel Platz als melodische Stichwortgeber oder Cayennepfeffer für orchestrale Unisoni ein. Ungeachtet einiger balladesker Momente kann der Bandleader aus Amsterdam sein Faible fürs Rockige freilich nicht ganz verhehlen, wie die Nummern „Tempest“, „Chasing Shadows“ und vor allem der Titeltrack mit seinen Heavy-Metal-Licks mittenmang zeigen.
Dass das alles keineswegs brutal klingt, mag an der akustischen Bariton-Gitarre liegen, die als ursprünglicher Impulsgeber Stücken wie „Catharsis“ oder „Flow“ zugrunde liegt – und Erinnerungen an Pat Metheny weckt, der das Instrument u.a. ins Zentrum seiner Einspielung „One Quiet Night“ stellte. Mit seiner Septett-Aufnahme unterstreicht Stekelenburg auf durchaus imponierende Weise, wie trittfest er sich in den Fußstapfen des US-Stars bewegt.

Josef Engels, 30.03.2024

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