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N° 1354
20.04. - 01.05.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



In Zeiten des Sparens und spärlicher Neuveröffentlichungen ist der Griff ins Archiv ein probates Hilfsmittel der Plattenlabel. Fonit Cetra, die traditionsreichste Schallplattenfirma Italiens, ging vor drei Jahren in den Besitz von Warner Classics über und öffnet nun unter dem Namen Warner Fonit ihre Schatzkästlein, die vor allem italienische Opernproduktionen enthalten.
Diese zwanzig Jahre alte Monteverdi-Produktion hat alle Chancen, zu einem "Dokument" zu werden - nicht so sehr ihrer künstlerisch durchwachsenen Qualitäten, sondern ihres Aufnahmeortes wegen: ob das vor fünf Jahren abgebrannte Opernhaus "La Fenice" in Venedig wirklich wieder aufgebaut wird, wissen nur die mafiösen Bauherren der Stadt. Es würde damit seinem Vorgänger folgen, dem 1637 erbauten und 1748 zerstörten, ersten bürgerlichen Opernhaus der Musikgeschichte überhaupt, in dem auch die 1642 geschaffene letzte Monteverdi-Oper ihre Uraufführung erlebte.
Die Akustik des "Fenice" war offenbar eine "hautenge", staubtrockene und - wie diese Live-Einspielung mit ihrer Geräuschkulisse zeigt - eine aufnahmetechnisch problematische. Offen treten die Schwächen der Sänger zutage. So hat Judith Nelson einige Mühe in den Außenregistern, und Ulrik Cold war wohl gar indisponiert: sein Seneca jedenfalls tritt uns nicht als selbstbewusst stoisch-standhafter Philosoph entgegen, der seinem kaiserlichen Fiesling Nero ob dessen niederträchtigen Frauen- und Herrscherpläne die Leviten liest, sondern als stark tremolierender Jammerlappen, der ängstlich seinen bald erzwungenen Selbstmord vor Augen hat. Man vergleiche die Szene seines Aufeinandertreffens mit Nero im ersten Akt mit derjenigen in Harnoncourts legendärer Züricher Produktion von 1978: Wie fulminant anders tönt einem da Matti Salminen entgegen!
Solche Zaghaftigkeit hat nicht zuletzt Alan Curtis zu verantworten, der überaus verdienstvolle Monteverdi-Pionier, der bereits 1971 eine erste historisierende Fassung dieses einzigartigen Skandalwerkes aus der Anfangsphase der Gattung Oper erstellte. Im Gegensatz zu Harnoncourt propagiert Curtis weniger eine dramatisch-psychologische Vergegenwärtigung als ein kammermusikalisch-filigranes Historienbild.
Curtis' Sängerschar erfährt bei weitem nicht die farbenprächtige Instrumental-Unterstützung wie diejenige Harnoncourts - wobei damit nichts gegen die eminente Kultiviertheit des Ensembles Complesso Barocco gesagt sein soll, aus dem die filigrane Theorben-Begleitung Konrad Junghänels hervorsticht; aber ein Schuss mehr Blut- und Skandal-Konnotationen hätten der braven Aufführung gut getan. Die beiden Haupt-"Helden" haben in Carolyn Watkinson und Carmen Balthrop koloraturgewandte, empfindungsreiche und ausdrucksstarke Sänger-Darstellerinnen. Nur leider verschenken sie mit einem zu hastigen Tempo und kleinen intonatorischen Unreinheiten einiges von der wahrhaft göttlichen Schönheit ihres Schlussduettes. Nicht minder bedauerlich ist das übersetzungslos-karge italienische Textbuch. Aber man kann sich ja mit Harnoncourts Teldec-Edition aushelfen.

Christoph Braun, 01.09.2007


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