Nur von einer zweiköpfigen Continuo-Gruppe (Violone und Orgel) begleitet, sehr klein – meistens mit einer Gesangsstimme pro Part – besetzt: Rückhaltloser kann man sich der komplexen Musik der Bach’schen Motetten-Sätze kaum aussetzen. Hinzu kommt, dass das Ensemble Solomon’s Knot zwar mit einem künstlerischen Leiter (der selbst unter den Singenden ist), aber ohne Dirigenten arbeitet und außerdem stets auswendig singt: Zwei Aspekte, die den Drahtseilakt einer solchen Darbietung noch verstärken. Zudem ist, soweit sich dies anhand der Namen beurteilen lässt, niemand Native Speaker der deutschen Sprache, die in ihrer lutherischen Gestalt ja viel mehr als nur eine Beigabe, vielmehr die Inspirationsquelle der Musik ist.
All dies nicht als Erschwernis, sondern als positive Herausforderung aufzufassen gelingt dem ambitionierten Ensemble hörbar gut. Der gemeinsame Klang ist homogen, ohne im Mindesten steril zu sein, dazu intonatorisch überwiegend sehr sauber. Wo sich der Satz lichtet und Einzelstimmen hervortreten, wird deutlich, dass sich in diesem Ensemble durchaus unterschiedlich timbrierte Stimmen zusammengefunden haben, die im Ensembleklang diszipliniert zueinanderfinden, in kleinerer Besetzung aber auch Individualität zeigen. Die Bässe und besonders die Soprane agieren keineswegs immer vibratofrei, sondern nutzen die klanglichen Bereicherungen, die eine nicht völlig gerade geführte Stimme mit sich bringt. Nicht nur interpretatorisch, sondern auch repertoiretechnisch hält diese Darbietung von J.S. Bachs Motetten zudem ein Plus bereit: Die Stücke werden ergänzt durch Motetten von Johann Christoph Bach, eines Cousins von J.S. Bachs Vater. Diese Werke sind Teil des „Altbachischen Archivs“, das in der Familie sehr in Ehren gehalten wurde – zu Recht, wie man angesichts dieser Aufnahme einmal mehr konstatieren kann.

Michael Wersin, 19.08.2023

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