Karina Canellakis leitet seit 2019 das Niederländische Radio-Philharmonieorchester in Hilversum, und sie ist die erste Frau an der Spitze eines niederländischen Orchesters. Ihr Debütalbum widmet die 41-jährige New Yorkerin jetzt zwei Orchesterwerken Béla Bartóks: Das überaus populäre „Konzert für Orchester“ aus dem Jahr 1943 kombiniert sie mit den nahezu unbekannten „Vier Orchesterstücken“ op. 12 von 1912. Und schon diese Auswahl bestätigt ihre Bartók-Kompetenz, da Bartók in dieser ersten bedeutenden Orchesterarbeit eine Essenz zieht seiner frühen rebellischen Phase, und zugleich eine Brücke schlägt zwischen den dunklen Seelenregionen seiner „Blaubart“-Oper, der bizarren Märchenwelt des „Holzgeschnitzten Prinzen“ und dem wilden Bruitismus des „Wunderbaren Mandarin“.
Alle vier Sätze geben starke Einblicke in die geheimnisvolle und doch unheimlich suggestive Fantasiewelt des jungen Bartók und Canellakis meistert diese geisterhafte Musik mit einer wunderbaren, geradezu charismatischen Mischung aus Präzision und feinstem Klangzauber, wie eine Magierin, die uns entführen, aber nicht alle Rätsel dieser Musik lösen will. Ähnlich präzis in jedem Detail und zugleich polyphon aufgefächert beschwört sie die enormen Lebenskräfte des späten Orchesterkonzerts, in dem Bartók ein letztes Mal alle Register seiner kompositorischen Raffinesse, seines intellektuellen Witzes und seiner grenzensprengenden Humanität zieht. Hier staunt man, zu welchen Temperamentsausbrüchen Cannelakis die eher besonnenen Niederländer anzutreiben vermag, und auf welches Topniveau sie das RFO in so kurzer Zeit gehievt hat. Dieses Album hat Referenzqualität.

Attila Csampai, 01.07.2023

---

Diese CD können Sie kaufen bei:

---

---

---

Kommentare

Kommentar posten

Für diese Rezension gibt es noch keine Kommentare.

---