Die Harfe gilt ja oftmals als ein vollkommen aus der Zeit gefallenes Instrument. Wer „You Matter“, das Album des Quartetts um die Schweizer Harfenistin Julie Campiche hört, wird da allerdings eines Besseren belehrt. Campiche überführt ihr Arbeitsgerät nämlich nicht nur ähnlich überzeugend in das moderne Jazz-Idiom wie ihre Kolleginnen Brandee Younger aus den USA oder Kathrin Pechlof aus Deutschland, sondern lässt auch dezidierte politische Gegenwartsbezüge in ihre Musik einfließen.
So ist etwa die Komposition „Aquarius“ einem Seenotrettungsboot für Flüchtlinge gewidmet, deren Angst und Ausgeliefertsein man durchaus in dem intensiven Spiel von Campiches Mitstreitern Leo Fumagalli am Saxofon, Manu Hagmann am Bass und Clemens Kuratle an den Drums heraushören kann. Während sich „The Underestimated Power“ mit einem Elektro-Glimmen auf den Harfentönen und einem harschen Sax assoziativ mit der sträflich ungenutzten Macht der Frauen auseinandersetzt, muss man bei „Fridays of Hope“ nicht lange über die Stoßrichtung grübeln. Greta Thunbergs „Ich will, dass ihr Panik bekommt“-Rede setzt Campiche da als Sprachsample ein; das rhythmisierte „I Want You To Act“ wird zu einem hiphop-artigen Schlachtruf.
Das mag plakativ wirken, hat aber dennoch eine gewisse Schärfe. Wie überhaupt die gesamte Aufnahme von einem jazzrockig vibrierenden Grundton lebt, der erst gar keine esoterische Betroffenheitsstimmung aufkommen lässt. Wie wenig man auf Vorurteile geben sollte, zeigt die Bandleaderin ohnehin in jedem Stück. Ihre Harfe ist kein Exot, sondern ein Multifunktionsgerät, das für Afro-Grooves genauso gut zu gebrauchen ist wie für feingesponnene Soli oder elektronische Klangmanipulationen – ein überraschend gegenwärtiges Instrument.

Josef Engels, 10.12.2022

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