Naïve-Indigo/375 Media 05235922
(88 Min., 12/2018) 2 CDs
Für seriöse Pianisten bleiben Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“ eine ultimative Herausforderung, zumal sie auch gegen zwei unerschütterliche Referenzen antreten müssen, gegen beide Einspielungen des kanadischen Bach-Rebellen Glenn Gould von 1955 und 1981. Doch gab es zuletzt einige hochinteressante neue Deutungen, die die unglaubliche innere Substanz und das tiefe Mysterium dieser 30 Sternbilder neu auszuleuchten versuchten, so etwa von Klára Würtz, Jean Muller, Stepan Simonian oder Angela Hewitt.
Jetzt hat sogar ein junger Chinese sich an diesen bedeutendsten Variationenzyklus des Barocks herangewagt und eine eigenwillige und überzeugende Lösung gefunden. Die Aufnahmen entstanden bereits 2018, da war Du erst 26 Jahre alt. Umso erstaunlicher sind seine ausgehörten, nicht zu schnellen Tempi und sein gestalthaft durchgeformtes Spiel, das jeden Ton, jedes Motiv, jede Linie körperhaft ausformt und als zutiefst menschliche Äußerung erkennen lässt: Dieser plastische Fokus, diese Farbenpracht und ernste Theatralik seiner Lesart verdanken sich auch dem exzellenten, perfekt eingestellten Steinway (mit der Nr. 334363), der vermutlich schon in den späten 1950ern entstand, als die D-Flügel wärmer, weicher und schöner klangen. Und dieser „erfüllte“ Ton ist es, der seinem charismatischen Spiel neben aller Klarheit und Prägnanz diese menschliche Anmutung verleiht. So erleben wir hier eine enorme polyphone Intensität und Präsenz mit klar voneinander abgesetzten atmenden „Stimmen“, die jeder einzelnen Variation ein ganz eigenes, leuchtendes Profil verleihen. Und alle 30 Variationen fügen sich dann zu einem einzigartigen Panorama des bewegten Sternenhimmels und verströmen zugleich eine mysteriöse Spiritualität, die beim späten Bach an die Grenzen der Tonalität vorstößt. Damit gelingt Du der so schwierige Spagat zwischen konstruktiver Logik und Metaphysik, zwischen Erkenntnis und Geheimnnis: Ein starkes Statement für einen Debütanten.
Attila Csampai, 12.11.2022
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