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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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Unterm Strich

Ramsch oder Referenz?

CDs, vom Schreibtisch geräumt.

Eine notorische Neigung zur Selbstbearbeitung prägt das gesamte Œuvre Anton Bruckners. Und doch ist, neben der „Complete Versions Edition“ der Sinfonien, die Markus Poschner in Angriff nahm, der bislang originellste Beitrag zur Diskografie im Brucknergedenkjahr ausgerechnet eine Fremdbearbeitung. Das Album heißt „Quintessence“, eingespielt von der Symphonia Momentum. (Aldilà Records/Naxos). Gründer dieses Münchner Streichorchesters ist Christoph Schlüren – Komponist, Geiger, Produzent, außerdem Musikjournalist, Arrangeur, Dirigent und als solcher einer der letzten Celibidache-Schüler. Er verwandelte Bruckners viersätziges Streichquintett F-Dur in eine Sinfonie. Entstanden zwischen der fünften und sechsten Sinfonie, handelt es sich bei dem Quintett um ein Stück in „klassischer“ Formation mit zweiter Bratsche. Schlürens Bearbeitung sieht sechs Bratschen vor, dazu, in saftiger Tiefe, drei Celli und einen Kontrabass. Auch ohne Bläser meint man immer mal wieder, sich an Bläserklänge zu erinnern, so definitiv brucknerisch wirkt diese spannungsreiche Lesart. Dazu trägt vor allem eine fein ausgemessene Dynamik und die fließende Legatodichte bei. Nicht zuletzt: auch der heilige Hall dieser Aufnahme, die im Kornspeicher einer Dorfmühle bei Ansbach entstand.

Anton Bruckner, Felix Mendelssohn Bartholdy, Reinhard Schwarz-Schilling

„Quintessence“

Symphonia Momentum, Christoph Schlüren

Aldilà Records/Naxos

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Für „klassische“ Bläserquintette gibt es nicht viel Originalliteratur. So greift auch das junge ARUNDOSquintett aus Köln gern auf Bearbeitungen zurück oder es erteilt Auftragskompositionen, zur „Erweiterung des musikalischen Horizonts“. Sein zweites Album heißt, warum auch immer, „Saga“, serviert wird fast ausschließlich Musikantisches: etwas Blaues, etwas Geborgtes, etwas Altes. (audite/Note 1). Das Blaue ist die jazzige Auftragskomposition, die Lalo Schifrin in den Achtzigern für das Dorian Wind Quintet schrieb. Ein weiteres neues Werk, im Auftrag der ARUNDOS-Musiker komponiert von Kevin Beavers, wirkt wie eine Etüde. Jedes Instrument kommt schön solo zum Zuge in den Variationen über ein altes dänisches Kirchenlied von Carl Nielsen. Und wer kennt nicht die bereits vielfach ausgeborgte „Petite Suite“ von Claude Debussy? All dies ist nett und sauber musiziert. Das ja.

„Saga“

ARUNDOSquintett

audite/Note 1

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Zwanzig Jahre lang trug der Pianist Nikolai Lugansky einen Herzenswunsch mit sich herum. Er wollte noch einmal Richard Wagner in die Klaviersprache übertragen – wie das einst der grenzüberschreitende Supereuropäer Franz Liszt getan hatte, im Zeitalter der Virtuosen, als es noch keine DVD und keine Kinoübertragung aus Bayreuth gab. Warum hat Lugansky sein Projekt jetzt realisiert? Er sagt: Wegen der Energie, welche er aus Wagners Werk heraustönen hört: „Es ist, als ob dieser Komponist aus jedem Hindernis nur noch mehr Kraft geschöpft hätte!“ Außer „Isoldes Liebestod“ von Liszt hat Lugansky weitere Wagnertranskriptionen von Louis Brassin, Zoltán Kocsis und Felix Mottl neu eingespielt und teils noch einmal überarbeitet. Er selbst fertigte vier neue, gewaltige Wagnertranskriptionen an für diese Session, nach kriegerischen Schlüsselszenen aus „Götterdämmerung“. (harmonia mundi/Bertus). Sie zu spielen, braucht man Mut, tausend Finger und tiefe Kenntnisse von der Oper und vom Leben. Lugansky hat all das im Übermaß: Pranke und Verstand.

Richard Wagner

Nikolai Lugansky

harmonia mundi/Bertus

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Nicht nur Komponistinnen wurden konsequent untergepflügt von der Musikgeschichte. Auch Mannsbilder kann es erwischen, wenn sie sich entfernen aus dem Kreis männlich konnotierter Schaffensriten. Etwa: Louis Beydts. Ein französischer Operetten- und Filmkomponist, multipel hochbegabt. Beydts erfand zauberhafte Melodienseligkeiten von Vorgestern, teils sentimental, teils sophisticated. Er erzielte damit eine Fülle von Erfolgen, dergestalt, dass sogar das deutsche Riemann-Musiklexikon meinte, ihn würdigen zu müssen. Anfang der Fünfziger starb Beydts, viel zu früh, auf der Höhe seines Ruhms, seine Musik verschwand mit ihm. Jetzt haben der wunderlich frühlingsgrüne, vielseitige Ausnahmesänger und „ténor de grace“ Cyrille Dubois und sein Klavierpartner Tristan Raës 34 Klavierlieder aus diesem Orkus des Vergessens herausgeangelt. (Aparté/hm-Bertus). Ist zwar kaum ein Drittel der rund hundert Songs aus dem Nachlaß von Beydts, aber immerhin sind 29 Ersteinspielungen dabei: lauter Wiederentdeckungen zum Verlieben!

Louis Beydts

Mélodies & Songs

Cyrille Dubois,Tristan Raës

Aparté/hm-Bertus

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Eleonore Büning, 30.03.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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