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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Marco Borggreve

Yundi

Comeback mit Mozart

Yundi war der erste chinesische Pianist, der den Warschauer Chopin-Wettbewerb gewann. Nach einer längeren Pause begibt er sich nun mit Mozart wieder auf Tournee.

Der Internationale Chopin-Wettbewerb in Warschau hat seit seinem Bestehen ganz unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten mit Preisen ausgezeichnet. Da gab es stürmische Virtuosen, wie Martha Argerich, die mit ihrem raubkatzenhaften Zugriff faszinierte, kühle Klassizisten wie Maurizio Pollini oder Tastenpoeten wie Krystian Zimerman. Was die meisten Preisträger jedoch verband, war, dass sie entweder aus Russland, Polen oder anderen europäischen Ländern stammten. Obwohl sich stets viele Teilnehmer aus asiatischen Ländern für die Wertungsspiele qualifizierten, wurden nur wenige von ihnen mit Preisen ausgezeichnet. Der erste Sieger, der aus China kam, war Yundi Li der seit einigen Jahren zumeist nur unter seinem Vornamen Yundi firmiert. Er gewann im Jahr 2000 die Goldmedaille in Warschau, obendrauf gab’s noch einen Sonderpreis für die beste Interpretation einer Polonaise.
Yundi wurde 1982 in der 23-Millionen-Einwohner zählenden Mega­metropole Chongqing geboren. Er stammt nicht aus einer Musikerfamilie, seine Eltern arbeiteten für ein staatliches Unternehmen in der Eisen- und Stahlherstellung. Sein Schlüsselerlebnis mit Musik hatte er im Alter von drei Jahren in einem Einkaufszentrum. Dort erlebte er einen Akkordeonisten, der ihn so faszinierte, dass er sich weigerte, das Einkaufszentrum zu verlassen. Daraufhin kauften ihm seine Eltern ein Akkordeon und Yundi bekam Unterricht bei einem örtlichen Musiklehrer. Bald beherrschte er das Instrument so gut, dass er im März 1987 den Hauptpreis beim Kinderakkordeonwettbewerb von Chongqing gewann.
Mit sieben Jahren begann Yundi dann Klavierunterricht bei Wu Yong. Nach zwei Jahren vermittelte ihn Herr Wu an Dan Zhaoyi, seines Zeichens einer der angesehensten Klavierpädagogen in China, der Yundi neun Jahre lang unterrichtete. Als Dan Zhaoyi 1994 an die Arts School nach Shenzhen berufen wurde, folgte Yundi ihm dorthin und setzte sein Studium dort fort. Dan Zhaoyi bereitete ihn auch sehr sorgfältig auf den Chopin-Wettbewerb vor. Obwohl er mit der Goldmedaille im Gepäck den Wettbewerb wieder verließ, entschied sich Yundi noch weiter zu studieren. Von 2001 bis 2006 besuchte er die Klasse von Arie Vardi an der Musikhochschule Hannover. 2003 gab er sein Debüt in der Carnegie Hall. Dieser Auftritt beeindruckte die Kritiker, insbesondere Bernard Holland von der New York Times, der Yundis Spiel als „eine vielversprechende Mischung aus Eleganz und Ungestüm“ beschrieb. Bald darauf folgte sein Orchesterdebüt in den USA mit Chopins Klavierkonzert Nr. 1 und dem Philadelphia Orchestra.

Abkehr von der Romantik

Seine Spezialität blieben auch in den Folgejahren die Werke von Chopin. So produzierte er 2004 eine blitzsaubere und klangschöne Aufnahme der Scherzi und Impromptus, 2009 spielte er sämtliche Nocturnes ein. Für Aufsehen sorgte auch seine hochbrillante Aufnahme von Sergei Prokofjews teuflisch schwerem zweiten Klavierkonzert unter dem Dirigat des kürzlich verstorbenen Seiji Ozawa. Seit 2017 dirigiert Yundi auch selbst vom Flügel aus. So leitete er im Sommer 2017 die Warschauer Philharmoniker auf einer Konzerttournee durch China, wo er Chopins Konzerte Nr. 1 und 2 aufführte.
Nachdem sich Yundi jahrelang den virtuosen Werken der Romantik gewidmet hatte, beschäftigte er sich nun eingehend mit Mozart. Nach einer mehrjährigen Pause startete Yundi bereits im Herbst 2023 seine Comeback-Tournee in Australien mit drei Mozart-Sonaten und der c-Moll-Fantasie, dabei wurden seine Auftritte von Publikum und Kritik gleichermaßen positiv aufgenommen.
Für das Frühjahr 2024 plant Yundi eine umfassende Europa- und Welttournee. Im Mittelpunkt steht dabei sein „Mozart: The Sonata Project Salzburg“, das drei der berühmtesten Mozart-Sonaten umfasst (KV 331, 310 und KV 457), sowie die c-Moll-Fantasie (KV 457). Mozarts Musik entdeckte Yundi mit sieben oder acht Jahren. Er habe sie als „sehr rein“ und „natürlich“ empfunden, als erste Sonate spielte er das späte B-Dur-Werk KV 570. In Mozarts Werken gebe es jedoch auch viele überraschende „Wechsel der Charaktere“, dadurch seien die Stücke „ausgesprochen vielschichtig“, was sie für Yundi „sehr attraktiv“ mache. Bei den Mozart-Interpreten schätzt der chinesische Star-Pianist vor allem die ältere Generation, interessanterweise nennt er zwei sehr gegensätzliche Interpreten: Friedrich Gulda, der in seinem Ansatz eher die Neue Sachlichkeit vertritt, sowie den romantischen Virtuosen schlechthin: Vladimir Horowitz.
Yundis eigenes Spiel verbindet nun den schönen warmen Klavierton der romantischen Interpreten à la Horowitz mit der rhythmischen Strenge eines Gulda. Sehr gut gelingt ihm die zweite Variation im Kopfsatz der berühmten A-Dur-Sonate, die er voller prickelnder Leichtigkeit interpretiert. Auch die c-Moll-Fantasie überzeugt, insbesondere der Beginn, den Yundi in bedrohlich dunkle Farben taucht. Ebenfalls gut profiliert er die dramatische Seite Mozarts, etwa im Schlussteil des Kopfsatzes der a-Moll-Sonate, wo Mozart bereits die tragisch-schicksalhaften Werke Beethovens vorwegzunehmen scheint. Von Ende März bis Ende Mai 2024 gibt Yundi Konzerte in Deutschland plus Basel und Wien, dann kann man seinen klangschönen Mozart live erleben.

Neu erschienen:

Wolfgang Amadeus Mozart

„The Sonata Project Salzburg“ (Klaviersonaten KV 331, 310, 457)

Yundi

PLG/Warner

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Mario-Felix Vogt, 06.04.2024, RONDO Ausgabe 2 / 2024



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