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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Sihoo Kim

Anna Khomichko

Zwischen Brillanz und Exzentrik

Auf ihrem Debüt-Album „Mozart and His Europe“ widmet sich die Pianistin vergessenen Klavierwerken des 18. Jahrhunderts.

Nach wie vor tut der Musikbetrieb so, als hätte es in der klassischen Epoche nur drei beachtenswerte Klavierkomponisten gegeben: Haydn, Mozart und Beethoven. Nun erinnert die russische Pianistin Anna Khomichko auf ihrem Debüt-Album „Mozart and His Europe“ erneut daran, dass es noch viele weitere lohnende Klavier-Komponisten gab, aus denen die Leistungen der Wiener Klassiker schöpfen und auf die sie sich auch selbst beziehen. Der eine ist Carl Philipp Emanuel Bach, dessen originelle Stücke zurzeit von immer mehr Pianisten entdeckt werden, der andere Johann Christian Bach, dessen Klaviersonaten einen starken Einfluss auf den jungen Mozart ausgeübt haben. Der Dritte im Bunde ist Muzio Clementi, der bis heute nicht vom Etikett des pädagogischen Komponisten, des Etüden- und Sonatinen-Schreibers befreit wird.
Von C.P.E. Bach wählt Khomichko für ihr Album zwei sehr unterschiedliche Werke aus. Zunächst die „12 Variationen über die Folie d’Espagne“, die zwischen pianistischer Brillanz und Empfindsamkeit pendeln. Deutlich experimenteller ist das sprunghafte C-Dur-Rondo, dessen Thema ebenfalls vom empfindsamen Stil geprägt ist, das jedoch voller Überraschungen steckt, wie ein „mutwilliges musikalisches Würfelspiel“ (Cris Posslac). Weitaus klassischer und ausgewogener präsentiert sich da die zweisätzige A-Dur-Sonate aus der Feder des jüngeren Bruders Johann Christian. Sie erinnert in ihrer ganzen Machart sehr an die Mozart’schen Klaviersonaten, sowohl was die kantable Melodik angeht als auch die triolischen Begleitfiguren.
Deutlich größer angelegt ist Muzio Clementis Sonate f-Moll. Sie besteht aus drei Sätzen und zeigt, dass Clementi keineswegs ein bloßer „Mechanicus“ war, der „um keinen Kreuzer Geschmack noch Empfindung“ habe, wie Mozart behauptete. Der erste Satz erinnert in seiner zweistimmigen Textur noch ein wenig an Domenico Scarlatti, allerdings beschreitet Clementi harmonisch deutlich modernere Wege. Die progressive Klanglichkeit setzt sich mit überraschenden Dissonanzen im umfangreichen Largo-Satz fort, während das finale Presto einerseits mit brillantem Laufwerk aufwartet, jedoch zugleich bereits den jungen Beethoven vorauszuahnen scheint.
Diese Werke der beiden Bach-Söhne nebst der Clementi-Sonate stellt Anna Khomichko drei Mozart-Werken gegenüber. Neben der fröhlich-tänzerischen B-Dur-Sonate KV 333 wählte sie von ihm für das Album das wehmütige Adagio KV 540 aus dem Jahr 1788 aus, sowie die humorvoll-satirischen Variationen über das Thema „Unser dummer Pöbel meint“ aus Christoph Willibald Glucks komischer Oper „Die Pilger von Mekka“.
Anna Khomichko interpretiert die Werke in natürlichem Fluss, mit rundem, singendem Ton. Sie wählt eher gemäßigte Tempi, möchte nicht durch oberflächliche Brillanz beeindrucken. Im Detail gestaltet sie die Phrasen nach eigenem Gusto aus, fügt etwa im Finalsatz von Mozarts B-Dur-Sonate bei Wiederholungen eigene Verzierungen ein. C.P.E. Bachs Exzentrik ebnet sie nicht ein, vielmehr arbeitet sie die Verrücktheiten und grotesken Momente im Rondo klar heraus. Somit gelingt ihr ein wunderbares Plädoyer für drei Komponisten, die zu Unrecht vernachlässigt werden.

Neu erschienen:

Johann Christian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Muzio Clementi, Wolfgang Amadeus Mozart

Mozart and His Europe

Anna Khomichko

Genuin/Note 1

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Mario-Felix Vogt, 02.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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