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N° 1355
27.04. - 04.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



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(c) Piergab

Raphaël Pichon

Eine Vesper aus dem Geist der Oper

Der Dirigent hat mit dem Ensemble Pygmalion nach langer Konzerterfahrung Monteverdis „Marienvesper“ eingespielt.

In den letzten Jahren sorgte Raphaël Pichon vor allem mit Mozart für Furore: Beim Festival in Aix-en-Provence etwa mit dem „Requiem“ in Romeo Castelluccis vertanzter Inszenierung und gerade eben in Salzburg mit dem „Figaro“, erstmals am Pult der Wiener Philharmoniker. Pichons Mozart ist transparent, agil, zupackend, aber niemals so harsch und aufgeraut, wie andere Spezialisten der historischen Aufführungspraxis die kompromisslose Radikalität und Klarheit der Partituren vermitteln.
Ähnliches gilt auch für seine Neueinspielung von Monteverdis epochaler „Marienvesper“, die er nun mit seinem Ensemble Pygmalion vorlegt. Das Booklet beinhaltet ein langes Gespräch mit Jean-Clément Guez, dem Rektor der Kathedrale Saint-André in Bordeaux, wo Pichon mit seinem Ensemble bereits mehrere Aufführungen der „Marienvesper“ realisierte.
Der Anlass für das 1610 erschienene Werk ist bis heute unklar, die Spekulationen reichen von der Hochzeit des Kronprinzen Francesco Gonzaga bis dahin, dass Monteverdi mit der „Vespro della Beata Vergine“ eine Anthologie geistlicher Stücke anbieten wollte, aus denen Musiker der „Kapellen oder fürstlichen Gemächer“ die passenden Stücke auswählen und anpassen konnten. Dieser Theorie widerspricht Pichon: „Meiner Ansicht nach braucht man dieses Werk nur zu hören oder zu lesen, um zu dem Schluss zu kommen, dass es als ein Ganzes konzipiert wurde.“
Denn der Dirigent hört in Monteverdis Schöpfung den Widerhall uralter mündlicher Überlieferungen: „Monteverdi scheint aus einer klanglichen Vorstellungswelt zu schöpfen, die aus grauer Vorzeit zu uns kommt. Es gibt auch Bezüge zur Antifonie, das Werk klingt zuweilen an die maronitische Musik an oder an den Ruf eines Muezzins. Daraus ergibt sich eine Universalität, ein gemeinsames Erbe, das sich im Mittelmeerraum und dessen Traditionen ausprägt.“
Die Freiräume der Partitur füllt Pichon auch auf Basis der Erfahrungen seiner Vorgänger, der Pioniere der Barockmusik, durch die man gelernt habe, die „Partitur (…) „geschmeidig“ zu machen.“
Beim Hören fällt auf, wie sehr Pichon auf starke klangliche und atmosphärische Kontraste setzt, mitunter wechseln die „Welten“ von Satz zu Satz, was der Dirigent mit zwei Metaphern begründet: „Diese Partitur ist wie eine Landkarte, die in verschiedene Räume unterteilt ist, die man entziffern und erfassen muss, um den unendlichen Reichtum dieser Musik zu entdecken.“
Die zweite, viel überzeugendere ist die des „absolut einzigartigen Theatermanns“ Monteverdi, der letztlich immer theatral denke, auch in seinen sakralen Kompositionen. Was nicht zuletzt belegt wird durch die berühmte Toccata, mit der die Marienvesper eingeleitet wird – ein akustisches Wappen der Gonzaga-Fürsten, seit Monteverdi 1607 damit auch seine erste Oper „L’Orfeo“ eröffnete.
Die Aufnahme, entstanden in einer Pariser Kirche mit leichtem Nachhall, klingt äußerst delikat, weich, farbenreich, voluminös und rhetorisch einleuchtend. Für die Autorin aber bleibt die Referenzaufnahme jene von Nikolaus Harnoncourt eingerichtete, von Jürgen Jürgens dirigierte Einspielung von 1966 (nur auf Vinyl): unerreicht in ihrer archaischen Klarheit und Wucht, ihrer Genauigkeit und – ja Fremdheit.

Neu erschienen:

Claudio Monteverdi

Vespro della Beata Vergine

Celine Scheen, Perrine Devillers, Lucile Richardot, Emiliano Gonzalez Toro, Zachary Wilder, Etienne Bazola, Pygmalion, Raphaël Pichon

harmonia mundi/Bertus

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Regine Müller, 02.09.2023, RONDO Ausgabe 4 / 2023



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