home

N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Pasticcio

Oper im Blindflug: Dirigent Alberto Veronesi protestiert gegen Christophe Gayrals Inszenierung von „La Bohème“ beim Puccini-Festival

Pasticcio

Augen zu und durch

Im Juli 2008 erreichte ein Donnerwetter die deutschsprachigen Feuilletons. Auslöser war die Rede, die der Schriftsteller Daniel Kehlmann zur Eröffnung der Salzburger Festspiele gehalten hatte. Sein Thema: das Regietheater. Also jene szenische Interpretationsmode, die bei progressiven Regisseuren, Dirigenten und Intendanten als dernier cri empfunden wird. Beim durchschnittlichen Opern- und Theaterkonsumenten kamen hingegen viele der radikal banalen Regieideen, mit denen die Werke auch schon mal überfrachtet werden, nicht so gut an. „Das Regietheater“, so schimpfte Kehlmann denn auch bei seiner Abrechnung, sei „zur letzten verbliebenen Schrumpfform linker Ideologien degeneriert“. Trotz dieser Skandalrede erfreut sich das Regietheater aber weiterhin großer Beliebtheit bei vielen Verantwortlichen auf und hinter der Bühne.
Nicht alle nehmen das stillschweigend hin. So platzte erst Ende letzten Jahres dem Wiener Staatsopern-Musikdirektor Philippe Jordan der Kragen – und das mit Folgen. Da nämlich begründete der Schweizer seine Entscheidung, seinen Vertrag nicht über 2025 zu verlängern, mit eben dem grassierenden Regietheaterwahnsinn auch im eigenen Haus. „Bei vielen, um nicht zu sagen bei den meisten der heutigen Regisseure vermisse ich aber diese gründliche Vorbereitung“, so Jordan damals. „Etwas drumherum zu erfinden oder es auf primitive Weise zu aktualisieren, ist im eigentlichen Sinn des Wortes keine Kunst.“
Ein Bruder im Geiste von Philippe Jordan hat sich nun beim Puccini-Festival im italienischen Torre del Lago bei Pisa auf besondere Weise Luft gemacht. Um gegen die Regiearbeit von Christophe Gayral zu protestieren, der Puccinis „La Bohème“ ins Paris der 68er-Revolten verlegt hatte, dirigierte der Mailänder Dirigent Alberto Veronesi die nicht gerade werkgetreue Inszenierung mit Augenbinde. Prompt wurde Veronesi für sein Verhalten von der Festivalleitung abgestraft und für die nachfolgenden Aufführungen durch Manlio Benzi ersetzt. Das aber will er nicht hinnehmen: „Ich werde im Frack und mit Maske erscheinen. Wenn sie mich nicht dirigieren lassen, werde ich Schadenersatz fordern.“ Nun hat sich auch die Politik eingeschaltet. So verteidigte der Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi die „ästhetische Intoleranz“ des Dirigenten gegenüber der Opernregie. „Das Recht auf Dissens wird von der italienischen Verfassung garantiert“, so Sgarbi. Für die nächsten Vorstellungen im August gibt es übrigens noch Karten...

Guido Fischer



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Gefragt

Mari Kodama

Übertragungsleistung

Die Pianistin hat Transkriptionen der Beethoven-Streichquartette von Saint-Saëns, Mussorgski und […]
zum Artikel

Pasticcio

Gefallener Star

„Ich bin wahnsinnig stolz auf alles, was wir zusammen geschaffen haben.“ Mit diesen Worten […]
zum Artikel

Hausbesuch

Anouchka und Katharina Hack

Frische kreative Impulse

Das Schwesternduo bietet jungen Musikern in der idyllischen Umgebung des Tecklenburger Landes mit […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

Aus einer viel späteren Schaffensphase, nämlich den letzten Kriegsmonaten 1945, stammen die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Zu jener Zeit arbeitete […] mehr


Abo

Top