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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Christoph Köstlin/DG

Rafał Blechacz

Neue Freiheit

Der polnische Pianist kehrt mit einer Aufnahme von Frédéric Chopins Klaviersonaten Nr. 2 und 3 zu seinen Wurzeln zurück.

RONDO: Im Jahr 2005 wurden Sie auf einen Schlag weltweit bekannt, als Sie den renommierten Chopin-Wettbewerb in Warschau in allen Kategorien gewannen. Hat sich Ihre Sicht auf Frédéric Chopins Musik seitdem verändert?
Rafał Blechacz: Im Laufe der Jahre habe ich mich mit verschiedenen Komponisten intensiv beschäftigt, etwa auch mit Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven oder Claude Debussy. Chopin führt mich aber immer wieder zu meinen Wurzeln zurück. Mein Umgang mit diesem Repertoire entwickelt sich ständig weiter, das ist ein ganz natürlicher Prozess. Wenn ich heute Chopin spiele, fühle ich mich freier als früher, vor allem beim Tempo rubato. Dynamische Kontraste und unterschiedliche Emotionen kann ich jetzt stärker zum Ausdruck bringen. Wie wir uns Musik nähern, wird letztlich auch durch unsere persönlichen Lebenserfahrungen beeinflusst.

Wie hat sich die lange Zeit der Corona-Pandemie auf Ihre Interpretationen ausgewirkt?
Die Pandemiezeit war der bisher schwierigste Abschnitt in meinem Leben. Ich war monatelang allein in meinem Haus in einem Dorf nahe der polnischen Stadt Bydgoszcz. Natürlich konnte ich weiter auf meinem Flügel spielen, die Konzerte vor Publikum haben mir aber sehr gefehlt. Anderen Künstlern ging es ja ähnlich. Ich spüre deutlich, dass ich Musik – auch Chopins Stücke – seit dieser Erfahrung anders begreife.

Auf Ihrem neuen Album kombinieren Sie Chopins Klaviersonaten Nr. 2 und 3 mit dem Nocturne fis-Moll op. 48/II und der Barcarolle Fis-Dur op. 60.
Es war genau der richtige Moment für diese Aufnahme. Ich hatte das Bedürfnis, meine Gefühle auch auf diesem Weg mit dem Publikum zu teilen. Die Sonaten bieten eine große Bandbreite an Emotionen – Melancholie, Freude, viel Energie. Als ich den zweiten Satz der Sonate Nr. 2, den bekannten Trauermarsch, spielte, war ich sehr nervös. Während der Pandemie hatte ich mehrere Freunde und Kollegen verloren, das wirkt in mir nach. Der kurze Schlusssatz der Sonate erinnert mich an Wind, der über einen Friedhof fegt. Es war nicht einfach, den richtigen Klang dafür zu finden. Die Artikulation ist sehr wichtig, man muss den Pedaleinsatz gut dosieren. Ohne Pedal klingt es viel zu trocken.

Beide Sonaten haben Sie bereits häufig aufgeführt.
Ich spiele diese Werke schon seit Langem. Auch bei der dritten Sonate merke ich jetzt aber, dass ich nicht nur im Umgang mit dem Tempo wagemutiger geworden bin. Im ersten Satz, der polyphon angelegt ist, muss man alle möglichen Kontraste deutlich herausarbeiten. Der zweite langsame Satz ist besonders schwierig zu spielen. Man braucht viel innere Energie und ein Gefühl für Poesie. Es kommt auf jede einzelne Note, auf jede Schattierung an.

Welche Verbindungen sehen Sie zwischen den Sonaten und den beiden kurzen Stücken?
In Konzerten setze ich das Nocturne fis-Moll vor die Sonate Nr. 2, auf der Aufnahme ist die Reihenfolge umgekehrt. Ein Takt ist völlig identisch, in der Sonate steckt er im Mittelteil des ersten Satzes. Die Barcarolle Fis-Dur erinnert vom Klang her an Italien. Sie passt sehr gut zu der dritten Sonate, deren lyrischer Charakter vom Belcanto geprägt ist. Wenn ich spiele, sehe ich manchmal auch Farben vor mir. In dieser Musik fühle ich mich ganz zu Hause, Chopin ist für mich so etwas wie ein Lebensgefährte geworden.

Neu erschienen:

Frédéric Chopin

Klaviersonaten Nr. 2 & 3, Nocturne Nr. 14, Barcarolle op. 60

Rafał Blechacz

DG/Universal

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Corina Kolbe, 25.03.2023, Online-Artikel



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