Startseite · Interview · Blind gehört
(c) Marco Borggreve
Luca Pisaroni hat nicht nur eine wunderbare Stimme – die ihn zu einem der führenden Figaros der letzten Jahre machte, seit er 2001 in dieser Rolle sein Operndebüt gab. Er hat auch ein exzellentes Gehör, wie er beim Blind gehört in einem Proberaum des Salzburger Festspielhauses bewies. Stück und Sänger erkannte der quirlige, jünger als 38 wirkende Italiener jedes Mal nach wenigen Sekunden. Mal hörte er dann noch eine Weile aufmerksam zu, mal sang er animiert mit.
Das ist José van Dam, diese Stimme erkenne ich sofort. Er ist einer meiner Idole wegen der Vielseitigkeit seiner Stimme und der Breite seines Repertoires. Ich habe ihn mal gefragt, wie er es geschafft hat, sowohl Bariton- als auch Bass- Rollen zu singen. Und er hat geantwortet: Ich habe sie einfach mit meiner Stimme gesungen. Das war ein guter Rat. Er hat wirklich alles gemacht. Auch ich bin sehr neugierig als Musiker. Aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das deutsche Repertoire singen werde. Für Wagner etwa braucht man eine Stimme, die wie ein Messer durchs große Orchester schneidet. Den Figaro habe ich überall gesungen, bestimmt 150 Mal, nun ist es an der Zeit, zum Grafen zu wechseln, der zwischen Figaro, Leporello und Don Giovanni liegt. Ich sehe eher wie der Graf aus als wie Figaro, sagt man mir – ich sehe das als Kompliment.
Wo haben Sie das gefunden? Das habe ich vor einigen Jahren hier in Salzburg mit Muti gesungen. Das war meine erste Zusammenarbeit mit ihm. In barocker Stimmung ist diese Arie für einen Bass- Bariton machbar, aber wir haben es in moderner Stimmung gemacht. Erschwerend kam hinzu, dass Muti diese Arie langsamer genommen hat, als Vierertakt, dies hier ist als Zweiertakt gefühlt. Aber ich hätte auch Happy Birthday für ihn gesungen. Ich habe ihn als Kind schon an der Scala erlebt, später war ich oft in den Proben. Wir hatten zwei unglaublich interessante Probentage, er holt einfach das Beste aus allen heraus. Diese Arie ist so schwer! Das ist ein sehr interessantes Stück und sehr modern. Und ich habe es nie wieder gesungen, leider. So ist das eben: Wenn man ein breites Repertoire haben will, macht man viele Dinge ein einziges Mal. Ich habe viel Barock gesungen, weil man am Anfang der Karriere noch vieles herausfinden muss über seine Stimme, seine Technik, das Repertoire. Im Barockrepertoire kann man Fehler machen und beschädigt sich trotzdem nicht die Stimme. Gut, das Publikum leidet vielleicht, aber damals war ich egoistisch genug. (lacht) Ich singe in dieser Saison meine letzte Barockproduktion, dann ist es genug. Ich möchte, dass meine Stimme sich weiterentwickelt.
Das ist Christian. Ich liebe diese Aufnahme. Ich habe Das Paradies und die Peri 2007 mit Simon Rattle in Philadelphia gemacht und ich habe meine Partie mit dieser Aufnahme gelernt. Ich war wahnsinnig aufgeregt: meine erste Zusammenarbeit mit Rattle, meine erste Partie auf Deutsch. Ich bewundere Christian. Wenn ich Lieder einstudiere, höre ich mir immer an, wie er es macht. Ich finde es wichtig, andere Sänger zu hören, um den eigenen Geschmack zu schulen und zu sehen, wie sie bestimmte Aufgaben lösen. Und dann findet man seinen eigenen Weg. Christian hat viel mehr als eine schöne Stimme. Man hört seine Gedanken beim Singen. Er benutzt seine Stimme, um zu zeigen, was er über das Stück denkt. Und was ich noch liebe: Er singt unglaublich leicht und natürlich, er spricht in Tönen. Wir machen im Winter die Faust-Szenen in Berlin zusammen, mit Harnoncourt. Seit ich die Bach-Kantaten mit Harnoncourt im Wiener Musikverein gemacht habe – ich als Italiener in Wien! –, seitdem habe ich das Gefühl, ich kann alles machen. Das war wie im Himmel. Christian wird großartig sein als Faust, und ich werde versuchen, der böseste Mephisto überhaupt zu sein. Ich würde gern den Faust singen, aber die Rolle liegt zu hoch für mich.
Ha, das ist Hermann, einer der größten Sänger seiner Generation, den kann man nur bewundern. (prüft es am Klavier nach) Ich singe es einen ganzen Ton tiefer. Die sechs Heine-Lieder sind sehr stark und tragisch und traurig – außer diesem hier. Ich habe mich schon immer zu Liedern hingezogen gefühlt, auch als ich von der deutschen Sprache noch keine Ahnung hatte. Und wenn sie tragisch und traurig sind, umso besser. Ich bin in Busseto aufgewachsen, der Heimatstadt Verdis, und ich war 16 und saß zu Hause und hörte „Ihr Bild“ [aus dem Schwanengesang]! Dieses Drama, diese Tragik, das habe ich geliebt. Lieder sind für mich keine Unterhaltung, sondern ein Mittel, über das Leben nachzudenken. Ich singe mehr und mehr Lieder. Das braucht viel Vorbereitung, aber es ist sehr erfüllend. Da sind nur ich, der Pianist und das Publikum. In wenigen Minuten rüberzubringen, was in dem Stück passiert, was die Vorgeschichte ist und was danach kommt, das ist die Herausforderung.
Das ist das, was ich in den nächsten 15 Jahren singen will. Rossini ist sehr schwer, man braucht Sostenuto und muss trotzdem Koloraturen singen können. So sehr ich grüblerische Lieder mag, so sehr mag ich La Cenerentola – das ist eine gute Balance. Natürlich ist das ein Fest der Stimmen, aber eine Sängerin wie Joyce DiDonato gibt jeder Koloratur einen Inhalt, eine dramaturgische Notwendigkeit, dann wird es spannend … Ich wollte immer ein Tenor sein. Aber dann hat sich meine Stimme geändert und ich war ein Bass- Bariton. Das war kein Spaß. Die Tenöre kriegen immer das Mädchen, nicht die Baritone. Dafür haben wir die interessanteren Rollen. Gerade Verdi hat wunderbare Partien für Baritone geschrieben.
Das ist mein Schwiegervater, die Aufnahme mit Bryn und Abbado. Falstaff ist eine meiner Lieblingsopern, ich habe sie zum ersten Mal 1993 mit Juan Pons und Muti an der Scala gesehen. Verdi hat sie in hohem Alter komponiert, aber sie ist so voller Energie und lebendig und innovativ. Und ich liebe die Doppelbödigkeit, in dieser Oper steckt so viel drin. Thomas macht das toll hier, muss ich sagen, das ist überhaupt eine großartige Aufnahme. Abbado ist ein Denkmal für mich, ich musste ihm einmal absagen, und das tut mir bis heute leid, ich habe nie mit ihm zusammengearbeitet.
Einen so fantastischen Sängerkollegen als Schwiegervater zu haben, ist wirklich cool. Wir haben unterschiedliche Stimmen und deshalb auch ein anderes Repertoire. Wir vertrauen einander, und jemanden zu haben, dem man vertrauen und der einem einen wirklich guten Rat geben kann, ist viel wert. Man muss sehr aufpassen: Beim Singen geht es viel um Geschmack. Wenn man versucht, es jedem recht zu machen, verliert man. Man muss seine innere Stimme finden. Ich habe bislang nur einmal den Paolo in Simone Boccanegra gesungen. Verdi kommt noch, Verdi wird die Krönung. Aber dafür habe ich noch Zeit. Man muss Geduld haben als Sänger.
Arnt Cobbers, 14.09.2013, RONDO Ausgabe 4 / 2013
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