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N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Interview · Gefragt

Cellist Johannes Moser (r.) und Pianist Andrei Korobeinikov (l.) (c) Sarah Wijzenbeek

Johannes Moser

Emotional unbequem

Der Cellist leuchtet mit seinem Begleiter Andrei Korobeinikov die Abgründe von Bohuslav Martinůs Cello-Sonaten aus.

Ich erreiche Johannes Moser telefonisch in Wien, seiner zweiten Heimat neben Köln, wo er an der Musikhochschule eine Professur innehat.

RONDO: In Ihrer Biografie kann man nachlesen, dass Sie aus einem musikalischen Elternhaus stammen, wie war das genau?
Johannes Moser: Meine Eltern waren Berufsmusiker, meine Mutter Sängerin, mein Vater Cellist. Meine Tante ist die Sopranistin Edda Moser, mein Großvater war Musikwissenschaftler und dessen Vater studierte Geige bei Joseph Joachim. Es gibt also eine direkte Brahms-Connection in meiner Familie.

Donnerwetter, wenn das kein Stammbaum ist? Dann können Sie sich vermutlich an die erste Begegnung mit klassischer Musik gar nicht erinnern?
Richtig, ich bin pränatal geprägt. Aber ich erinnere mich sehr wohl an Schlüsselmomente backstage, wenn meine Mutter auf der Bühne stand.

Mit welchem Instrument haben Sie begonnen?
Mit der Geige, aber mit acht Jahren habe ich zum Cello gewechselt.

Warum?
Die Geige und ich haben uns ehrlich gesagt gegenseitig abgestoßen. Das Ergebnis war, dass ich, die Geige und nicht zuletzt auch meine Familie kapituliert haben.

Und warum dann Cello?
Es war naheliegend und der runde Klang und das Körperliche des Cellos haben mich sofort angesprochen. Die Geige hat man vor allem am Ohr, aber das Cello ist ein Ganzkörper-Sport, es nimmt einen mit dem Klang mit. Allein dieses physische Erleben hat mich fasziniert, der ganze Körper kommt in Schwingung.

Dann ist der Funke sofort übergesprungen?
Jaja, und das hält bis heute. Ich kann die Leute nicht verstehen, die sich zum Üben quälen müssen, denn ich kann es immer kaum erwarten! Und das ist nie abgerissen, nicht einmal in der Pubertät, wenn klassische Musik eher uncool ist.

Dann war als Kind schon klar, dass das Cello zum Beruf wird?
Das nun wieder nicht, denn ich habe zunächst nicht verstanden, was der Beruf eigentlich bedeutet. Erst im Laufe der Jahre habe ich das gefunden.

Und was ist das genau?
Ich habe schon während des Studiums für Menschen gespielt, die nicht ins Konzert gehen können, vielleicht, weil sie schwer krank sind. Dabei habe ich verstanden, dass Musik eigentlich ein Kommunikationsberuf ist.

Und was hat diese Erkenntnis für Sie verändert?
Vor allem das Bewusstsein dafür, dass dieser Beruf in einem ständigen Wandel ist. Vor 20 Jahren hat niemand über Education nachgedacht, heute hat jedes Orchester Education-Programme. Das ist eine neue Qualifikation, die nun in den Musikerberuf integriert ist.

Sie begreifen die Vermittlung also als wichtigen Baustein Ihres Schaffens?
Ja, weil wir damit die Gefahr des Musealen umschiffen, die real ist. Wir brauchen einen Lebensbezug. Ich glaube, dass es niemandem guttut, von einer Stadt in die andere im Bermuda-Dreieck zwischen Hotel und Konzertsaal unterzugehen.

Wen sprechen Sie denn konkret an mit Ihren Aktivitäten?
Jugendliche sind wichtig, aber auch Menschen, die sich schon für Musik interessieren, deshalb arbeite ich oft mit Laienorchestern. Der Humus der Amateure wird aus meiner Sicht nicht genügend beachtet.

Und was ist bei den Jugendlichen wichtig?
Mir geht es nicht so sehr um Wissen, sondern darum, das Kopfkino zu aktivieren, zu zeigen, dass Musik ein Anstoß für Fantasie ist und kein Hintergrundgedudel zum Chillen.

Wie kamen Sie darauf, sich die Martinů-Sonaten vorzuknöpfen?
Diese drei Sonaten waren über viele Jahre ein blinder Fleck für mich, ich habe sie weder gehört noch gespielt. Sonst habe ich alles gespielt von Martinů. Und als ich mich endlich mit den Sonaten beschäftigte, merkte ich, dass sich ein unglaublicher Kosmos auftut, etwas, das ich so nicht kannte von Martinů, hinsichtlich der Tiefe und Schlagkraft. Die Sonaten sind in ihrer Machart sehr kompromisslos.

Wie erklären Sie sich das?
Alle drei sind entstanden an Wendepunkten von Martinůs Leben: die erste am Ende seiner Pariser Zeit, kurz vor der Emigration in die USA, die zweite nach der Emigration, und die letzte am Ende der USA-Zeit. Da hört man deutlich seine Hinwendung zum Jazz und Gospel. Da war er so frei, wie ein Martinů nur eben sein konnte.

Wie sind Sie gemeinsam mit ihrem Pianisten Andrei Korobeini­kov diese spröden Sonaten angegangen?
Ich habe eine langjährige künstlerische Verbindung mit Andrei. Was mich bei dieser Arbeit fasziniert hat, war, wie kompromisslos er bereit war, in Martinůs Abgründe zu blicken.

Wie würden Sie das Idiom von Martinůs Cellosonaten beschreiben?
Erstmal spürt man auch hier deutlich seine musikalische Herkunft, dass er auf seine Weise gar nicht so weit entfernt ist von Dvořák.

Das ist eine Gemeinsamkeit, was wäre denn eine singuläre Eigenheit?
Martinů zeichnet sich aus durch seine ausgeprägte Rhythmik, seinen Spaß an synkopischer Verschiebung, damit spielt er virtuos. Und dann gibt es diesen Hang zum Hymnischen. Ich erkläre mir das damit, dass er als kränkliches Kind quasi in einem Kirchturm aufgewachsen ist. Und später in den USA nochmal diesem starken Gospel-Einfluss ausgesetzt war.

Dennoch bleiben Martinůs Cellosonaten sperrig, widerständig?
Man kann es schwer beschreiben und es klingt banal und pauschal, wenn ich sage, dass er in die Tiefe geht. Sagen wir so: Er scheut sich nicht vor unbequemen Harmonien, ohne sie in einer Katharsis aufzulösen. Er bleibt unbequem. Vor allem emotional. Das ist eine Qualität, die ich in anderen Werken von ihm so nicht erlebt habe.

Neu erschienen:

Martinů

Cellosonaten Nr. 1-3

Johannes Moser, Andrei Korobeinikov

Pentatone/Naxos

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Regine Müller, 26.11.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022



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