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(c) Mutesouvenir/Kai Bienert

LGT Young Soloists

Musizieren auf Augenhöhe

Das junge Ensemble von Alexander Gilman gibt Talenten die Gelegenheit, auf internationalem Parkett Erfahrungen fürs Musikerleben zu sammeln.

Das erste Konzert nach dem Lockdown war für Alexander Gilman ein ganz besonderes Erlebnis. Endlich wieder gemeinsam mit den von ihm 2013 ins Leben gerufenen LGT Young Soloists das Podium des Berliner Konzerthauses zu betreten, nachdem man zu Beginn der Pandemie mitten aus einer lang geplanten Tournee durch Südafrika gerissen wurde. Der Neustart war dabei durchaus ambitioniert. Gab es neben Kompositionen von Philip Glass und Astor Piazzolla doch auch die Uraufführung des Concerto grosso „Liechtenstein“ von Airat Ichmouratov zu erleben. „Ein fingerbrecherisch virtuoses Werk, das ich selber erst einmal wochenlang lesen und mir meine Fingersätze suchen musste. Das war eine sehr intensive Probenphase, die uns aber geholfen hat, die Truppe wieder zusammenzubringen. Außerdem wollen wir uns ja weiterentwickeln und nicht immer nur mit denselben Stücken ankommen. Und die Arbeit hat sich gelohnt. Es hat wahnsinnigen Spaß gemacht und kam auch beim Publikum grandios an.“ Neue Werke sind für den Gründer und künstlerischen Leiter ein wichtiger Bestandteil seines Konzepts, bei dem die jungen Musikerinnen und Musiker sowohl solistisch als auch in begleitender Funktion Erfahrungen sammeln sollen. Und selbst wenn es beispielsweise von Felix Mendelssohn Bartholdy oder Gustav Holst wunderbare Werke gibt, mit denen sein Ensemble große Erfolge feierte, ist das Repertoire auch irgendwann ausgeschritten. „Da können wir uns mit unserem Sponsor sehr glücklich schätzen. Weil die LGT Bank uns nicht nur bei unseren Konzerten unterstützt, sondern uns auch neue Musik geben möchte.“ Bewerben für die Young Soloists kann sich jeder zwischen 12 und 21 Jahren. Wobei Gilman lieber keine allzu starre Obergrenze ansetzen möchte. Ihm ist es wichtig, die jungen Leute ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend zu fördern und zu unterstützen. „Wenn einer mit 30 immer noch bei uns spielt, weil er keinen anderen Job hat, dann habe ich etwas falsch gemacht. Aber wenn jemand trotz Engagement weiter mitmachen möchte, weil er Spaß am Projekt hat, werde ich sicher nicht Nein sagen. Die Idee bei uns ist, soviel Erfahrung wie möglich zu machen. Und da kann man gar nicht alt genug sein, um nicht trotzdem immer wieder noch etwas Neues zu lernen.“ Als LGT-Young-Soloists-Erfolgsgeschichte verweist Alexander Gilman dabei unter anderem auf Geiger David Nebel, der nach seinen Anfängen bei den Soloists inzwischen sein erstes Album mit dem London Symphony Orchestra bei Sony Classical eingespielt hat. Gilman selbst unterrichtet seit gut zehn Jahren, nachdem man ihm damals eine Assistenz bei Prof. Zakhar Bron an der Züricher Hochschule angeboten hatte. Zunächst mit kleinem Pensum, da die eigene Karriere als Geiger parallel gut am Laufen war. Doch hatte er schnell Blut geleckt und im Unterrichten seine neue Berufung gefunden, der er nach einer Zwischenstation in Wien seit 2019 am Royal College of Music in London nachgeht. „Zwei oder drei Konzerte im Jahr gönne ich mir noch. Aber meist nutze ich meine Kontakte heute lieber für die Studierenden und leite Anfragen weiter. Ich habe selber oft genug auf der Bühne gestanden, die brauchen das dringender. Einer der coolsten Momente war, als ich mit den LGT Young Soloists mein Debüt beim Rheingau geben konnte. Genau zehn Jahre nachdem ich dort selbst zum ersten Mal als Solist gespielt habe.“

„Kammermusik“ auf höchstem Niveau

Wenn Gilman von seinem Ensemble spricht, betont er immer wieder das Gemeinschaftsgefühl. Viele junge Talente reisen heute meist nur von einem „Jugend musiziert“-Wettbewerb zum nächsten und kennen somit eigentlich nur das Antreten gegeneinander. „Musiker sein bedeutet aber nicht nur als Solist mit großen Orchestern aufzutreten. Man muss sich nur die großen Festivals wie Gstaad oder Verbier anschauen. Was macht ein Mischa Maisky, eine Martha Argerich oder eine Yuja Wang da? Sie spielen alle Kammermusik. Auch für mich geht das Hand in Hand. Das ist ein Job.“ So soll auch die Arbeit der LGT Young Soloists alle Aspekte eines Musikerlebens abbilden. Vom Tournee-Alltag, über Probenarbeit in unterschiedlichen Formationen bis hin zu Alben-Produktionen und Online-Formaten, mit denen die Pandemie zum Teil überbrückt wurde. Nachdem man zum Jubiläumsjahr 2020 mit „Beethoven RECOMPOSED“ am Start war, ist das nächste Album, das Ende des Jahres erscheinen soll, nun ganz Philip Glass gewidmet. Eingespielt wurde dafür in den traditionsreichen Londoner Abbey Road Studios nicht nur das „Tirol Concerto“, sondern ebenso die „Liechtenstein Suite“. Wie der Name bereits vermuten lässt – ein weiteres Auftragswerk, das vom amerikanischen Altmeister ganz auf die LGT Young Soloists zugeschnitten wurde. „Glass hat sich hier auf unser Konzept eingelassen und ein Werk komponiert, das im Concertogrosso-Stil allen die Möglichkeit bietet, sich solistisch zu präsentieren.“ Voll des Lobes ist Gilman aber ebenso für das „Tirol Concerto“ – das für ihn zu einer der gelungensten Klavierkompositionen unserer Zeit zählt – und die Zusammenarbeit mit dem jungen englischen Pianisten Martin James Bartlett. „Er passt unglaublich gut zu uns, weil er auch eine enorme Energie mitbringt, und er spielt ein wunderbares Legato. Ich hätte nie gedacht, dass es so viel Spaß machen kann, ein Klavierkonzert zu begleiten, aber Glass versteht es auch hier, das Orchester extrem zu fordern und verlangt viel Interaktion mit dem Solisten.“ Musizieren auf Augenhöhe, ganz im Sinne seines Ensembles, bei dem die Streicher-Solopartien stets aus den Reihen des Orchesters heraus bestritten werden. Live zu erleben ist die prestigeträchtige Glass-Uraufführung unter anderem bei Konzerten in London und Wien. Und auch darüber hinaus beginnt sich der Kalender langsam wieder zu füllen, etwa durch Einladungen in die Elbphilharmonie und sogar nach Dubai. Ein Beweis dafür, dass die Arbeit der LGT Young Soloists auch international sowohl wahrgenommen als auch geschätzt wird. Grund genug für Gilman, um vorsichtig optimistisch in die Zukunft zu blicken. „Ich glaube, wir können gestärkt aus dieser Situation hervorgehen, weil wir ein flexibles Ensemble mit Musikern aus aller Welt sind. Wir können uns Vorgaben leicht anpassen und mit Leuten arbeiten, die vor Ort sind. Außerdem decken wir von Barock bis Zeitgenössisch alles ab.“ Wobei er nicht nur für seine eigene Truppe wirbt. „Was es jetzt braucht, sind Veranstalter, die jungen Künstlerinnen und Künstlern eine Chance geben. Man muss nicht immer nur die großen Stars einfliegen. Ein Lang Lang wäre nicht dort, wo er heute ist, wenn ihn damals nicht Christoph Eschenbach nach Ravinia gerufen hätte. Umso wichtiger ist mir unser Projekt.“

www.lgtyoungsoloists.com

Anschub-Förderung

Die Förderung junger Musiker und neuer Kompositionen hat im kulturaffinen Fürstenhaus von Liechtenstein eine lange Tradition, die weit vor die Gründung der LGT Young Soloists zurückdatiert. So war unter anderem bereits die 1786 geborene Prinzessin eine große Bewunderin von Joseph Haydn, der in ihrem Auftrag fünf Messen komponierte. Weitere Beispiele waren daneben aber auch Ludwig van Beethoven, der einen engen Kontakt mit der Familie pflegte und Wolfgang Amadeus Mozart, der seinerzeit zwar nicht die erhoffte Stelle als Kapellmeister des Hausorchesters bekam, für Fürst Alois I. aber dennoch eine virtuose Bläserserenade komponierte.

Tobias Hell, 18.09.2021, RONDO Ausgabe 4 / 2021



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