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(c) Dario Acosta
Ich kann dieser nostalgischen Energie einfach nicht widerstehen.“ Dieses Geständnis hat einmal Ausnahmegeiger Gidon Kremer abgelegt, als er nach seiner Abhängigkeit von der Musik Astor Piazzollas gefragt wurde. Und im Grunde hat er damit auch prominentesten Kollegen wie Daniel Barenboim und Yo-Yo Ma aus dem Herzen gesprochen. Denn seit Kremers legendärem Album „Hommage à Piazzolla“ von 1995 boomt der argentinische Tango-Erneuerer eben auch bei der Klassik-Elite. Piazzolla hätte diese Anerkennung gefreut. Denn mit seiner einzigartigen Klangsprache, die feurige Herzblut-Rhythmen mit narkotischem Drive und wehmütigen Herbstlaub-Melodien kombiniert, hatte er nicht nur den traditionellen, kneipenverrauchten und als schmuddelig verrufenen Tango mächtig durchlüftet. In dem von ihm erfundenen „Tango Nuevo“ spiegelt sich gleichermaßen seine Liebe zum Jazz und seine intensive Beschäftigung mit der klassischen Musik wider. Unter den rund 1000 Kompositionen, die Piazzolla bis zu seinem Tod im Jahr 1992 aus der Feder gesprudelt sind, finden sich demnach nicht nur solche Ohren- und Seelenschmeichler wie „Libertango“ und „Oblivion“. Immer wieder begegnet man da dem Fugenschmied und überhaupt Barockfan Piazzolla. So tauchen Bach und Vivaldi direkt oder als Influencer auch in all den CD-Programmen auf, mit denen man pünktlich zu Piazzollas 100. Geburtstag am 11. März nicht nur eine der markantesten Musikstimmen des 20. Jahrhunderts würdigt. Die unterschiedlichsten Besetzungen zeigen, dass Piazzollas Stücke im Grunde in jedem Arrangement funktionieren. Vom Violinduo bis hin zum großen konzertanten Aufmarsch reicht da der Bogen. Wobei es nicht selten zu Repertoire-Überschneidungen kommt. Wie im Fall des Duos „The Twiolins“ und des „Patagonia Express Trios“, für das sich die Brüder Claudio (Cello) & Oscar (Violine) Bohórquez mit dem Pianisten und Piazzolla-Weggefährten Gustavo Beytelmann zusammengetan haben. Hier wie da erklingt mit den „Cuatro estaciones porteñas” Piazzollas Hommage an Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. „The Twiolins“ präsentieren diese beiden Zyklen dialogisch. Das Patagonia Express Trio steuert stattdessen den kontrapunktischen Ohrwurm „La muerte del ángel“ sowie einige Widmungsstücke von Beytelmann bei. Bach und Piazzolla – diese Kombination gibt es zudem gleich zwei Mal. Der serbische Akkordeonist Nikola Djoric hat zwei Cembalo-Konzerte Bachs mit Piazzollas klassisch dreisätzigem Bandoneon-Konzert „Aconcagua“ verzahnt. Diesem Opus stellt hingegen die aus Riga stammende Akkordeonistin Ksenija Sidorova Bachs „Adagio“ BWV 974 sowie Evergreens wie „Chau Paris” und „Cafe 1930” zur Seite. Die Dienste eines überaus namhaften Piazzolla-Bewunderers hat sich schließlich die vielversprechende französische Trompeterin Lucienne Renaudin Vary für ihr Album gesichert, auf dem auch Werke des Piazzolla-Lehrers Alberto Ginastera und der für den Jubilar so wegweisenden Mentorin Nadia Boulanger zu hören sind. Es ist der Akkordeonist Richard Galliano. Und selbst wenn sein Stück „Tango pour Claude“ heißt, verbirgt sich doch auch hinter dieser sinfonisch leicht pompösen Neufassung eine unwiderstehliche Piazzolla-Verbeugung.
Guido Fischer, 27.02.2021, RONDO Ausgabe 1 / 2021
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