home

N° 1355
27.04. - 03.05.2024

nächste Aktualisierung
am 04.05.2024



Startseite · Oper & Konzert · Pasticcio

(c) pixabay.com

Pasticcio

Jaja, der „Sigi“, dieser Hallodri…

2016 ging eine erste kleine Empörungswelle durch die Beletage der deutschen Kultur- und Geisteslandschaft. Prominente Freunde des Pianisten und Hochschul-Rektors Siegfried Mauser hatten sich da in der „Süddeutschen Zeitung“ in Leserbriefen mehr als nur darüber echauffiert, dass dieser ach so untadelige Künstler und Gelehrte vom Amtsgericht München wegen sexueller Nötigung einer Hochschul-Kollegin verurteilt worden war. Für Hans Magnus Enzensberger war damals klar, dass der Prozess nur auf einem billigen Racheakt einer von Mauser verschmähten Professorin basierte. Verleger, Dichter und damaliger Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Michael Krüger, stieß in ein ähnliches Horn und zweifelte – wie der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer – an der Aussage bzw. den Motiven der Frau. Doch auch in den nachfolgenden Jahren meldeten sich Mauser-Bekannte wie Nike Wagner verteidigend zu Worte.
Seit diesem Oktober ist es aber amtlich: Der Bundesgerichtshof hat Siegfried Mauser wegen sexueller Nötigung in drei Fällen zu zwei Jahre und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Aber ist mit diesem Schuldspruch auch dieser Fall abgeschlossen? Nein, überhaupt nicht. Tatsächlich ist gerade eine rund 460 Seiten starke Festschrift anlässlich des 65. Geburtstags von Mauser mit dem Titel „Musik verstehen – Musik interpretieren“ herausgekommen. Zu den drei Herausgebern gehören neben der Reger-Spezialistin Susanne Popp auch Dieter Borchmeyer. Und unter den Gratulanten finden sich neben den Komponisten Wolfgang Rihm, Helmut Lachenmann und Manfred Trojahn Nike Wagner, Christian Gerhaher und der Philosoph Peter Sloterdijk. Eine illustre Runde feiert und ehrt da Mauser. Und die umfangreiche Sammlung von Aufsätzen wird eingeläutet von dem Gedicht „Hören“, das Michael Krüger 2018 „Für Sigi Mauser“ geschrieben hat.
Nun mag auch so eine lyrische Gedankenwanderung durch die Musik nicht der Platz sein, um sich vielleicht in einem Nebensatz noch einmal zur Anklage Mausers zu positionieren. Das immerhin haben die drei Herausgeber in ihrem Vorwort getan – nicht aber mit einem Nebensatz, sondern mit einem einzigen ganzen Satz, der ihnen jetzt zu Recht richtig um die Ohren fliegt. „Seine [Mausers] Visionen und sein unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontaneität und begeisternde Vitalität haben ihm manche Kritik eingetragen – und sein bisweilen die Grenzen der ´bienséance´ überschreitender weltumarmender Eros hat für ihn schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt.“ Übersetzen könnte man diese sprachlich aufgeplusterte Apologie etwa mit: „Jaja, der Sigi, dieser alte Schwerenöter, der seine Finger nicht immer im Griff hatte.“ Also bitte mal nicht so anstellen – was nach dem Tenor der Bewertung dieses gerade einmal unanständigen, aber für die Musik doch so unersetzbaren Künstlers wohl auch für die von Mauser Geschädigte gelten sollte. Mittlerweile hat sich übrigens Helmut Lachenmann zu diesem Vorwort geäußert, das er erst mit Veröffentlichung des Bandes lesen konnte. Er fühle sich zwar von dieser „schwer nachzuvollziehenden Hymne fahrlässig instrumentalisiert“. Trotzdem sieht Lachenmann seinen Freund Mauser schon jetzt als Opfer, als eine „kaputt gestrafte, ruinierte Kreatur“. Die wahren Opfer sehen das bestimmt genauso.

Guido Fischer



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Gefragt

Andrè Schuen

Ums nackte Singen

Mit Schuberts „Schöner Müllerin“, zugleich sein Label-Debüt frisch unter Vertrag, startet […]
zum Artikel

Boulevard

Einwanderer! Einwanderer?

Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik

Als der Musiker Nitin Sawhney im Mai 1964 im englischen Rochester geboren wurde, war er ein frisch […]
zum Artikel

Pasticcio

Sie läuft und läuft und läuft…

Jaja, die Branchenkenner. Vollmundig besingen sie im Zeitalter der medialen Revolutionen ständig […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das Klavierquartett c-Moll des 19-jährigen Strauss war ein Geniestreich, der sofort als solcher erkannt wurde. Komponiert 1883/84, zwischen der ersten Sinfonie und der „Burleske“ für Klavier und Orchester, gilt es als Höhepunkt der Auseinandersetzung mit Brahms und den Formen der klassisch-romantischen Instrumentalmusik.

Aus einer viel späteren Schaffensphase, nämlich den letzten Kriegsmonaten 1945, stammen die „Metamorphosen für 23 Solostreicher“. Zu jener Zeit arbeitete […] mehr


Abo

Top