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Ob als Humanismus-Passion oder als „bürgerliches Familiendrama mit doppeltem Boden“ (Harry Goldschmidt) – die Spannweite, mit der Ludwig van Beethovens einzige Oper bis heute ausgemessen wurde, kann kaum mehr exakt nachgezeichnet werden. Zumal je de Epoche sich ihre eigenen Interpretationen zu diesem Stück machte, das marxistische Handfestigkeit ebenso verkraften musste wie religiöse Überhöhung. Aber irgendwie scheint „Fidelio“ gemacht worden zu sein, um Verwirrung zu stiften. Denn selbst Beethoven gab sich mit seinen ständigen Revisionen wie ein unzufriedener Mechaniker, der Ouvertüren-Pläne über den Haufen warf, Rezitative ein- und ausbaute oder sich von ganzen Terzett-Teilen wieder trennte. Bis es endlich zur erfolgreichen dritten Fassung kam, die am 23. Mai 1814 im Wiener Kärtnertortheater uraufgeführt wurde, bestimmten Schweiß, Zweifel und Ärger den Schaffensprozess Beethovens.
Dass selbst der erste Anlauf unter keinem günstigen Stern stand, hatte Beethoven schon vor den Proben anlässlich der Premiere von „Fidelio oder Die eheliche Treue“ am 20. November 1805 geahnt. Die Zensur hatte sich an dem Libretto gestoßen, statt „Leonore“ stand nun „Fidelio“ auf dem Theaterzettel. Und obwohl Beethoven kurzerhand die ursprünglich geplante Ouvertüre durch die „Leonoren“-Ouvertüre Nr. 2 ersetzte, war die Resonanz mehr als dürftig. Über zwei Vorstellungen kam die Oper nicht hinaus, der Kritiker der „Freimüthigen“- Zeitung warnte vor „der Musik, die weit entfernt ist, ein vollkommenes, ja gelungenes Werk zu sein“. Auch die zweite Fassung „Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe“ (1806), für die Beethoven aus drei nun zwei Akte gemacht und die dritte berühmte Ouvertüre komponiert hatte, zeigte sich kaum überlebensfähig. Erst acht Jahre später schließlich kam der Durchbruch – wenngleich das Werk erst bei der zweiten Neuaufführung mit der nachgereichten E-Dur-„Fidelio“- Ouvertüre sein endgültiges Gesicht bekam.
Über die formale Substanz, die bis zum neckischen Singspiel reicht, lässt sich zwar weiterhin trefflich streiten. Angesichts der massiven Präsenz aber von Beethovens Oper auch auf dem Schallplattenmarkt lassen sich inzwischen ausreichend die einzelnen Entwicklungsschritte nachvollziehen und abwägen. Und weil auch John Eliot Gardiner weiß, dass „es eine Legende ist, dass der Komponist stets weiß, was er will“, stellte er gleich seine ganz persönliche „Leonore“ zusammen. In das (gekürzte) Grundmaterial von 1805 fügte er Passagen von 1806 und 1814 ein, ersetzte sogar die gesprochenen Dialoge durch einen Erzähler. So patchworkartig das auf den ersten Blick anmutet, so gelang Gardiner damit doch eine ungemeine Straffung in der Struktur, wie auch das Orchestre Révolutionaire et Romantique aufregend mitten ins Herz und in die Nervenbahnen von Leonore & Co. trifft. Ein Jahr nach Gardiner nahm dagegen Marc Soustrot 1997 im Rahmen des Bonner Beethoven-Festes die unangetastete Originalfassung der „Leonore“ (1806) auf – mit einem dramatisch wie emotionell engagierten Sänger-Ensemble und dem Melodram in der rein gesprochenen Version.
Haben Gardiner und Soustrot damit dem ellenlangen CD-Katalog eine überfällige Frischzellenkur verpasst, verlieren dadurch die Klassiker unter den „Fidelio“-Dirigenten nichts an Überlebens- und Strahlkraft. An vorderster Stelle sind da natürlich die Namen Otto Klemperer und Wilhelm Furtwängler zu nennen. Klemperers Unbedingtheit und Unerbittlichkeit sind weiterhin das Maß aller Dinge, wenn man statt Freiheitsoper ein existenzielles Drama erleben will. Allein Walter Berry als Pizarro stellt sich hier als Inkarnation des Bösen auf, und beim vokalen Glühen Christa Ludwigs und dem herben Zugriff von Jon Vickers ist einem gar nicht mehr „wunderbar“ zumute. In ähnlich dunkle, leidvolle Farben getaucht ist Klemperers Live-Mitschnitt von 1961 aus dem Londoner Covent Garden. Auch wenn die Aufnahme von Wilhelm Furtwängler (1953) einen eher klassischen, erfüllenden Zuschnitt bietet, befindet sich das Sänger-Ensemble – bis auf die bisweilen unausgeglichen singende Martha Mödl – auf absoluter Augen- und Ohrenhöhe mit Klemperers Auswahl. Schon wegen der Balance aus Pathos und Spannung, mit der Furtwängler einen Gottlob Frick (Rocco) oder einen Wolfgang Windgassen (Florestan) zu Höchstleistungen antreibt, kommt man wohl auch in den nächsten Jahrzehnten nicht an dieser Aufnahme vorbei. Fast freundlich und ausgeruht wirkt dagegen Leonard Bernsteins Einspielung, bei der selbst Hans Sotin als Pizarro gutmütige Entspanntheit pflegt. Wenn dagegen jüngere Produktionen wie die von Simon Rattle oder die klanggeschärfte Einspielung von Charles Mackerras zwar auf furiose Konturenarbeit und dabei so noch nie gehörte Akzente setzen, so kommt doch keines der Sänger-Ensembles nur annähernd an die prominenten Höchstleistungen aus der guten alten Vinyl-Ära heran.
Telarc/In-Akustik
Wie eine Tigerin auf dem Sprung steht sie da, mit wild entschlossenem Blick, die Haare aufgelöst, in Männerkleidung, die Pistole auf den „Abscheulichen“ gerichtet. Das Bild ist zu einer Ikone der Operngeschichte geworden: die gerade einmal 17-jährige Wilhelmine Schröder-Devrient als Leonore in Beethovens „Fidelio“. Mit ihrem Auftritt am 3. November 1822 verhalf sie dem Werk zum endgültigen Durchbruch und sich selbst zu internationalem Ruhm.
Dabei überzeugte sie weniger durch Stimmschönheit, wie von Zeitgenossen allgemein berichtet wird, sondern viel mehr durch ihre fesselnde Bühnendarstellung und eine fast magisch-erotische Ausstrahlung.
Was unter Musikfreunden weniger bekannt ist: 1909, also fast 50 Jahre nach ihrem Tod, erschien in Holland in einem „Privatdruck“ mit nur 800 Exemplaren Auflage das Buch „Memoiren einer Sängerin“, das der Schröder-Devrient zugeschrieben wird (die RONDO-Redaktion besitzt das nummerierte Exemplar Nr. 31).
Der wohlmeinende Leser will dieses Elaborat zunächst kaum für authentisch halten, handelt es sich doch um ein Buch, das man, wie Rousseau es in seinen „Confessions“ nannte, „nur mit einer Hand“ zu lesen pflegt: Schon auf den ersten 40 Seiten wird man Zeuge, wie die junge Protagonistin ihre Eltern beim Geschlechtsverkehr beobachtet, ihren 16-jährigen Cousin beim Onanieren erwischt und mit dessen Gouvernante gleich noch einschlägige lesbische Erfahrungen sammelt. Nicht mehr berichtsfähig ist dann, was die Wiener Hauswirtin angeblich mit ihrem Mops anstellte.
Ein Werk der schönen Wilhelmine? Wohl ja, denn die kapriziöse Sängerin war nach dem Urteil vieler Zeitgenossen eine Nymphomanin und soll 1845, als Richard Wagner sie auf einer Bühnenprobe über Leidenschaftlichkeit belehren wollte, ausgerufen haben: „Was verstehen denn Sie davon, Sie Ehekrüppel!“ Zu seiner Geliebten machte sie
Wagner – trotz vielerlei erotischer Spannungen zwischen beiden – indessen nicht, dafür sei sie ihm in den 1840er Jahren, laut Cosimas Tagebuch, bereits zu verlebt gewesen. Tatsächlich halten die Experten den ersten Teil der „Memoiren“ (ein Briefroman und keine Autobiografie) für authentisch, den unerträglich unappetitlichen zweiten Teil je doch für vom Verleger nachträglich hinzugedichtet. Was aber einen Kaiser Wilhelm II. nicht davon abgehalten hat, das Buch zu seiner Lieblingslektüre zu zählen.
Guido Fischer, 07.02.2015, RONDO Ausgabe 6 / 2005
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