Vor dreißig Jahren, im Januar 1983, spielten der Pianist Keith Jarrett, der Kontrabassist Gary Peacock und der Schlagzeuger Jack DeJohnette die Alben „Standards Vol. 1“ und „Standards Vol. 2“ ein – und damals lag die erste, unter Gary Peacocks Namen veröffentlichte Platte „Tales Of Another“ schon sechs Jahre zurück. Nun, bei der zweiten im Tonstudio festgehaltenen Begegnung legten Programm und Titel nahe, dass eine Serie begonnen werden sollte. Dreißig Jahre zogen seitdem ins Land, und noch immer erweitert das Trio den Katalog der Aufnahmen aus dem Great American Songbook des Broadway und der im Real Book vereinten Klassiker um Einspielungen, die für Generationen von Musikern Maßstäbe setzen. An jenen Januartagen 1983 entstand zudem ein drittes Album: das aus dem Augenblick improvisierte „Changes“.
Die Aufnahmen vom 11. Juli 2009 aus Luzern vereinen beide Elemente. Ausgehend von einer “Deep Space” genannten Soloimprovisation Jarretts, entsteht eine bezaubernde Trioversion von Miles Davis‘ Klassiker „Solar“. Bei den „Stars Fell On Alabama“ regnen die Töne eingangs so klar wie Sternschnuppen über das Publikum, und selbst wenn das Trio im Mittelteil das Tempo anzieht, bleibt die lichte, freundliche Atmosphäre. Mit „Between The Devil and The Deep Blue Sea“ abstrahiert Jarrett die Tradition des Stride-Piano, indem er einerseits die harten, kantigen Rhythmen und die regelmäßigen Bewegungen andeutet, diese aber andererseits – auch durch Jack DeJohnettes Anklänge an die Rhythmen der Marching Bands beflügelt – immer weniger ausspielt, ohne die Assoziationen völlig zu verlieren. Leonard Bernsteins „Somewhere“ aus der Oper „West Side Story“ beginnt erneut zurückhaltend; nach etwa fünf Minuten leitet Jarrett eine freiere Entwicklung ein, aus der sich die von Jarrett-typischen Ostinati getriebene Improvisation „Everywhere“ entwickelt. Mit „Tonight“, einer zweiten Bernstein-Nummer, setzt das Trio einen freudigen, hoffnungsvollen Akzent, bevor es das Publikum mit einem verträumten „I Thought About You“ das Publikum nach Hause entlässt. „Ich glaube, die Jungs, von denen die Stücke stammen, hätten ihre Freude an unseren Versionen“, sagte Keith Jarrett 1983 selbstbewusst ‒ und lag damit goldrichtig. Einmal mehr wird spürbar, welche Substanz einerseits die Standards und andererseits das Trio besitzen. Zu verfolgen, wie sich die Stücke entwickeln, wie die drei auf Andeutungen ihrer Partner reagieren, ist immer noch ein wunderbares Erlebnis.
Werner Stiefele, 29.06.2013
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