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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Ludwig van Beethoven

Klaviersonaten Vol. IV

Christian Leotta

ATMA/Musikwelt ACD2 2489
(137 Min., 5/2011) 2 CDs

Junge Pianisten, die sich einmal an Beethoven versuchen, sind Legion. Doch das Beethoven-Gen, das Spieler befähigt, die „32“ gestalterisch zu durchdringen, ist selten. Das schmerzerregende Geklimper von HJ Lim hat das kürzlich gezeigt. Der inzwischen 32-jährige Italiener Christian Leotta aber scheint es in sich zu tragen. Schon 2005 wagte er sich an die erste Folge einer Gesamtschau – ein hörbar „unfertiger“ Spieler, dem selbst das Pathetique-Seitenthema reichlich hölzern und ungleichmäßig geriet. Und doch, wer eine unglaublich langsam genommene Opus-111-Arietta unter einen Spannungsbogen zwingt und noch einer Zeitlupen-Appassionata ungeahnte Größe mitgibt, der spielt nicht schülerhaft. Allmählich erfüllte sich das Versprechen in den nächsten beiden Folgen, etwa in einer dichten, die Balance von Motorik und Sonorität sicher haltenden Waldsteinsonate oder einem „Hammerklavier“-Adagio im Versunkenheitstempo von zwanzig Minuten. Man hört dies nicht im kulinarischen Genuss von „Entdeckungen“ oder manueller Politur, sondern im Bewusstsein, dem Interpreten das architektonische Werkganze durchstreifend zu folgen, das allmählich auch pianistisch mehr war als ein Holzmodell.
Damit ist schon viel gesagt zur aktuellen, vierten Lieferung. Episoden ratlosen Missverstehens muss man kaum befürchten, doch es sind dann doch eher die Weihemomente, in denen der Italiener zur großen Form findet. Über neun Minuten nimmt er sich für das As-Dur-Adagio aus der gar nicht so „kleinen“ c-Moll-Sonate (10/1). Bei Korstick ist das eine Art grüblerisches Vereisungs-Zeitmaß, Leotta scheint es daran zu bemessen, ob man die oft reichlich zerfetzten, wehenden 64tel-Girlanden tatsächlich wie eine gesungene Koloratur hinbekommt. Eine warm-humane Langsamkeit.
Auch das C-Dur-Largo aus dem Opus 7 nimmt er enorm breit, doch nicht belanglos kantabel, sondern auf jenen großen Moment des Zerreißens in seiner Mitte hintreibend. Das Sonatenglück vollendet sich im Finale, hört man, mit welchem Zauber er die Entrückung des Themas in die „falsche“ Tonart und den für Tovey „brutalen“ Sprung zurück ins „richtige“ Es inszeniert. Leotta hat einen unerhört ausgeprägten Sinn für die dramaturgischen Funktionen und Farbwechsel solcher Übergangsmomente, die er gelegentlich unter höchste Erwartungsspannung zu setzen vermag. Wenn das Thema der „Pastorale“ zu Beginn der Durchführung in fahlem G-Dur dahinpulst, ahnt man das folgende forte-Gewitter, und in jene gedehnten letzten Takte der „Abwesenheit“ der Les Adieux-Sonate scheint der Wiedersehensjubel schon hineinzuhallen. Manchmal ist es, als habe Leotta mit solchen Passagen alles gesagt, bringt einen Satz etwas lustlos-ungelenk zu Ende, und wenn ihn etwas gar nicht interessiert wie der Op. 90-Kopfsatz, kann er es auch nicht ganz verhehlen. Aber sogar in dieser Haltung ahnt man etwas Überlegtes.
Mag dieses Projekt in diskografischer Hinsicht uneben geraten sein, kündigt es uns doch einen Beethovenspieler an, dem in seiner Generation kaum jemand das Wasser reichen wird. Ich wünschte mir, er könnte es deutschen Auditorien bald beweisen.

Matthias Kornemann, 22.12.2012


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