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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Gabriel Fauré

Kammermusik Vol. 1-3

François Salque, Éric Le Sage, Daishin Kashimoto, Lise Berthaud, François Salque, Quatuor Ébène

Alpha/note1 ALP600-602
(72 Min., 3/2011 bzw. 10/2010)

Wem das grobschlächtige Wühlen der völlig missratenen EMI-Gesamtschau der Fauréschen Kammermusik mit den Capuçon-Brüdern (2011) das Zerrbild eines zweitrangigen Spätromantikers hinterlassen hat, dem seien als Therapie diese schlichtweg hinreißenden ersten drei Folgen einer Rehabilitierung französischer Kammermusikkultur dringend ans Herz gelegt.
Ich habe damals kaum ertragen, wie Faurés nervös atmende Phrasierungen im Kopfsatz des c-Moll-Quartetts unter süffigem Endloslegato begraben wurden. Das Streicherensemble, das der wie immer wunderbare Éric Le Sage hier um sich geschart hat, durchlichtet die kleinteiligen Phrasierungskräuselungen in Faurés Satz in einer unübertrefflichen Manier. Und welche Details treten plötzlich hervor! Noch das uns oft geradezu überrollende Finale-Thema offenbart seine subtile kanonische Gestalt, sein Wesen immer neuen Anlaufnehmens. Mut zur Ruppigkeit – gerade in den heiklen Scherzi – haben die Spieler ebenso wie die Fähigkeit, weite melodische Bögen durch die Abgesänge der langsamen Sätze zu spannen, entrückte dolcissimo-Traumreiche.
Das zweite Quartett in g-Moll ist das sprödere, forderndere Werk, und meistens geht schon der Beginn daneben. Das endlose forte-Rasseln der Klavierfiguren evoziert das Bild eines hochtourig drehenden Motors, und aus der unfreiwillig komischen Betriebsamkeit löst sich der Satz dann kaum mehr. Le Sages Ton bleibt recht filigran, und mit seltener Freude zelebriert er die Stockungen der Durchführung, in der Faurés „Motor“ immer wieder aussetzt, kaum hat der Pianist einmal 32tel-Bewegung aufgenommen. Fauré wollte keine großen Steigerungslinien und klangsatte Flächen entwerfen, sondern Tableaus flackernder Beleuchtungswechsel und nervösen Verebbens. Melodien und rhythmische Texturen sind in dieser Musik niemals so stabil wie etwa bei Brahms, sie beben vor verwandlungslustiger Sensibilität, deren Wesen ein allzu nachdrückliches Spiel niemals fassen könnte. Le Sage und seinen Partnern gelingt das Seltene: Der Geist dieser Musik, der sich so gern ins Feinsinnig-Filigrane zurückzieht, scheint sich für ein Stündchen in seiner regelmäßigen Form einfangen zu lassen.
Die Aufnahme der herben, späten Cellosonaten folgt der beglückenden Spur, doch den Klavierquintetten, dem jüngst erschienenen Vol. 3, eingespielt mit dem wie immer fabelhaften Quatuor Ébène, gehört die Krone. Vor allem das c-Moll-Quintett op. 89 ist ein verkanntes Wunder. Fauré hielt es für sein Meisterwerk, die Welt aber vergaß es, und wollten sich Interpreten einmal erinnern, wühlten sie sich verzweifelt auf der Suche nach emotionalen Aufschwüngen durch das chromatische Dämmerlicht einer Musik, die in den ersten beiden Sätzen ohne Ziel und Höhepunkt dahinzuwabern scheint. In dieser Aufnahme aber werden die scheinbaren Mängel zur Tugend und zum Eingang in eine Klangwelt, die unsere Wahrnehmung in die Bereiche des fast Unmerklichen zwingt. Im fahlen, vibratoarmen pianissimo-Stillstand der Kopfsatzdurchführung wirkt der erste espressivo-Aufschwung der zweiten Geige plötzlich so eindringlich wie in anderen Dimensionen ein orchestraler Tuttischlag. So wird unser Hören einer Schule der Verfeinerung unterworfen, und Erstaunliches tritt ans Licht – die innerlich-vibrierende Expressivität des Adagio ist ausschließlich den dauernden Taktwechseln zu verdanken, die eisig-akkurat zum alleinigen Gestaltungsparameter erhoben sind (in anderen Versionen, die den Satz unter öligen Endlosbindungen begraben, merkt man nicht einmal, dass sie da sind ...). Wer dann das unproblematisch-bewegte zweite Quintett hört, wird bemerken, dass die Interpreten durchaus saftig-zupackend musizieren, wo es am Platze ist.
Mit der Vollendung dieses Zyklus werden wir die neue, einsame Referenzaufnahme haben, es kann jetzt nichts mehr „anbrennen“. Wir Autoren sollen uns ja künftig mit der Höchstwertung der fünf Sterne deutlich zurückhalten, die Jubiliererei nutzt sich ja auch ab. Aber hier muss es sein, dagegen bin ich machtlos.

Matthias Kornemann, 15.12.2012


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