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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Nach Jahren und Jahrzehnten exquisitester Barockgesangeskunst widmet sich Andreas Scholl zum ersten Mal dem Kunstlied. Und den Bogen spannt der Countertenor von Mozarts „Veilchen“ bis zu Schuberts „Ave Maria“, von englischen Haydn-Songs bis zu ausgewählten „Deutschen Volksliedern“ von Brahms. Dass dieses Recital dennoch so vollkommen aus dem gängigen Rahmen der Lied-Interpretation fallen würde, hätte man wohl nicht gedacht. Selbstverständlich war nicht zu erwarten, dass ein Sänger wie Scholl sich jetzt plötzlich in einen auch deklamatorischen Erregungszustand hineinsingt. Schließlich weiß man spätestens seit seinen Dowland-Aufnahmen, wie sich auch ohne gestalterischen Aufwand, sondern nur mit erlesener Natürlichkeit von Liebe und Leid erzählen lässt.
Doch funktioniert diese im besten Sinne schlichte Linearität tatsächlich besonders im romantischen Repertoire? Bei Brahms jedenfalls beweist es Scholl mit einer countertenoralen Sangeskunst, die ihresgleichen sucht. Bewundernswert mühelos und völlig prätentionslos lässt er es aus sich herausströmen. Scholl singt einfach statt krampfhaft nach neuen Deutungsmöglichkeiten zu suchen. Gleiches gilt für Schuberts „Ave Maria“ und die Mozart-Lieder, die er empfindsam mit seinem einzigartig fließenden Legato präsentiert. Zusammen mit seiner Klavierpartnerin Tamar Halperin setzt Scholl auf eine vollkommen klangliche Schönheit, die an die Zeiten der Sopranistin Helen Donath erinnert. Mit seinen wunderbar ebenmäßigen Ausdrucksdimensionen schien Scholl jedoch speziell bei zwei Schubert-Liedern an seine Grenzen geraten zu sein. Um das Katastrophale in „Der Tod und das Mädchen“ überhaupt darzustellen zu können, macht er aus dem Lied ein vokales Zwei-Personen-Drama – mit dem Countertenor Scholl als Mädchen und dem Bariton Scholl als der Tod. Und das innere Konfliktpotenzial von Schuberts „Jüngling auf dem Hügel“ muss er schon fast hysterisch herausschleudern, um die Fallhöhe zum schalen, dann wieder überirdisch ausgeatmeten Abschiedsgesang zu verdeutlichen.

Guido Fischer, 01.12.2012


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