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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Antoine de Févin, Anthonius Divitis

Requiem

Ensemble Organum, Marcel Pérès

aeon/Note 1 AECD1216
(61 Min., 11/2010)

Das Requiem von Antoine de Févin (ca. 1470-1511/12), das gelegentlich auch Févins Zeitgenossen Anthonius Divitis zugeschrieben wird, zählt zu den ganz frühen Beispielen für die mehrstimmige Vertonung der Totenmesse. Die Tradition ragt mit Johannes Ockeghem (gestorben 1497) noch ins spätere 15. Jahrhundert zurück; ein in manchen Quellen erwähntes noch älteres Requiem von Guillaume Dufay ist leider verschollen. Ockeghems Totenmesse und die historisch unmittelbar anschließenden Vertonungen von Eustache du Caurroy oder Johannes Prioris sind seit längerem auf CDs dokumentiert. Du Févins Totenmesse hingegen wurde erst im vergangenen Jahr vom Ensemble Doulce Mémoire unter Denis Raisin Dadre (www.rondomagazin.de/kritiken.php?kritiken_id=7542) eingespielt. Gut, dass Dadres solide Interpretation von diesem großartigen Stück – es präsentiert wie alle Requiems jener Zeit die gregorianischen Cantus firmi als Achse des Satzes – bereits existiert; mit der vorliegenden Neueinspielung kann der Autor nicht ohne Weiteres warm werden.
Marcel Pérès ist ja durchaus schon lang bekannt für seine vokal markanten Darbietungen v.a. von liturgischer Musik aus dem ersten christlichen Jahrtausend: Er lässt seine Sänger mit rauer, kehliger Stimmgebung agieren, womöglich um einen Eindruck zu vermitteln von einer Gesangspraxis, die in jenen Tagen eventuell an eine ältere, orientalische Stilistik anknüpfte. Was für die Gregorianik, vor allem etwa für den altrömischen Choral, noch vorstellbar ist, scheint mehr als fünf Jahrhunderte später doch, vorsichtig gesagt, ein Fremdkörper zu sein. Darüber hinaus leidet u.a. auch die Intonationsreinheit unter dem raspeligen Röhren der Sänger – und man sollte doch meinen, dass in einer Zeit, in der man sich schon um unterschiedliche Stimmungssysteme mitteltöniger Natur Gedanken gemacht hat, die Reinheit der Dur- und Mollklänge ein Thema gewesen sein muss. Welche Art von „reflection on the history of mentalities“ will uns Marcel Pérès, “going beyond the mere auditory pleasure”, also vermitteln, wenn er den elementaren Aspekt der Intonation so vernachlässigt wie passagenweise auf dieser CD?
Freilich, es ist beeindruckend, den Introitus einer Totenmesse teilweise um eine wahrhaft profunde vokale Sechzehnfuß-Lage bereichert zu erleben – ein Effekt, dessen Wirkung man sich nicht entziehen kann. Aber in puncto Stimmgebung unterscheidet sich diese Darbietung so grundlegend von dem, was wir von den Tallis Scholars und vielen anderen hochqualifizierten Ensembles zu hören gewohnt sind, dass es schwerfällt, seinen Frieden mit diesem Klangbild zu machen. Und was sollen die Pérès-typischen Orientalismen in den gregorianischen Incipits? Im Frankreich des frühen 16. Jahrhunderts dürften sie wohl kaum in Gebrauch gewesen zu sein. Nun ja, man höre und bilde sich seine eigene Meinung … Eine Aufnahme, die die Geister scheidet.

Michael Wersin, 31.03.2012


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