RCA/Sony 88697 964312
(63 Min., 12/2009 & 4/2010) SACD
Natürlich hegt man nach dem fulminanten Beethoven-Projekt höchste Erwartungen an Paavo Järvi und seine Bremer Elitetruppe. Doch lassen sich diese überhaupt bei Schumann (noch) einlösen? Järvis Exegese der „Rheinischen“ und der „Frühlings“-Sinfonie bieten durchaus noch Ungewohntes, im Booklet sogar Neues. Glaubt man Uwe Henrik Peters, dem emeritierten Direktor der Kölner Neuro-Klinik, dann war der in der Endenicher Nervenheilanstalt inhaftierte Schumann kein schizophrener Geistes-, sondern ein Alkoholkranker, dessen mehrtägiges Delirium samt Selbstmordversuch im Februar 1854 zur verhängnisvollen „Irren“-Etikettierung missbraucht wurde. Ob hier wirklich eine Affäre Clara-Johannes, gar eine schändliche Intrige um profitable Aufführungsrechte des „Kaltgestellten“ mitspielte, sei dahingestellt; das letzte und dunkelste Schumann-Kapitel ist offensichtlich noch nicht zu Ende geschrieben.
Natürlich auch nicht die Sinfonien-Exegese. Zwar sorgt hier – im Unterschied zu Beethoven – noch immer keine historisch-kritische Ausgabe für unverstellte Partitur-Einblicke; doch auch so bietet Järvis Schumann genügend Zündstoff, allemal für altdeutsche Traditionalisten. Sie mögen die glasklare, kammermusikalische Linienführung im verschlankten (vorwagnerianischen) Orchesterapparat zum Anlass nehmen, im „Frühlings“-Larghetto fehlende romantische Saumseligkeit oder im „feierlichen“ (vorletzten) Satz der „Rheinischen“ mangelnde tragische Tiefenbohrungen zu beklagen. Doch Järvi weiß auch ohne aufgeschäumten Apparat und schleppende Tempi Schumanns Gefühlswelt zu verdeutlichen. Dabei verzichtet er – was wiederum Radikalisten aufstoßen mag – sowohl auf Tempo- wie Ausdrucksextreme. Die kämpferisch-kraftvolle „Florestan“-Seite des Schumannschen Charakters, die die Ecksätze der „Rheinischen“ auszeichnet, kommt in der Tat etwas zu kurz. (Gardiner, Zinman, Norrington, Dausgaard, auch schon der alte Szell bieten da mehr Emphase gerade in den auftrumpfenden Hörnern). Doch der in zarten Träumereien schwelgende bzw. luftig tänzelnde „Frühlings“-„Eusebius“ der Ersten ist in Bremen in denkbar empfindsamen Händen. So mausert sich Järvis zweiter sinfonischer Streich (nach Beethoven) wieder zur Referenz – zumindest zur Hälfte, bislang.
Christoph Braun, 07.01.2012
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