Sony 88697 723202
(79 Min., 4 & 6/2010)
nicht nur in den Fingern und Gefühlsbahnen, sondern auch im Kopf hat: Bachs d-Moll-Chaconne. Wer von der Papierform her mit so einem Mainstream-Programm seine allererste CD-Visitenkarte abliefert, der macht es sich nicht etwa einfach. Er geht damit sofort das Risiko ein, an den nicht gerade wenigen Großtaten seiner gestandenen Kollegen gemessen zu werden. Über ausreichend Selbstbewusstsein scheint der taiwanesisch-australische Jung-Violinist Ray Chen aber zu verfügen. Immerhin ging er u. a. mit der Gewinnerurkunde des Reine Elisabeth Concours 2009 jetzt ins Studio, um den Bogen von Tartinis "Teufelstriller-Sonate" über Bach und zwei Wieniawski-Stücke bis zu César Francks A-Dur-Sonate zu schlagen.
Natürlich ist das alles nicht leichte Kost. Doch der eher banal gewählte CD-Recital-Titel "Virtuoso" hat so gar nichts mit Ray Chens ungemein ernsthafter Haltung und beeindruckender Reife zu tun. Statt sein technisch makelloses Vermögen verblüffend zur Schau zu stellen, belässt er es bei Andeutungen, dass er es könnte. Und so geht er allein bei Tartini den großen, finalen Monolog ausschließlich dramatisch und packend an – bis sich die innerlich erschöpfte und zerzauste Violine sich danach nur noch in die Arme der aufmerksamen Pianistin Noreen Polera fallen lassen kann. Ray Chen sorgt mit seiner Intonationssicherheit sowie seinem mal biegsam-geschmeidigen, dann wieder kraftvoll körperlichen Ton aber auch in den nachfolgenden Stücken für Erstaunliches. Die Komplexität und Motorik der Bach-"Chaconne" erfasst er mit einer schon fast provozierenden Leichtigkeit. Die "Variationen op. 15" von Henryk Wieniawski besitzen Charme. Und die Franck-Sonate entpuppt sich als ein wunderbar stimmungsvoller und blühender Klangfarbengarten. 21 Jahre jung soll Ray Chen erst sein?
Guido Fischer, 05.02.2011
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