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N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



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Johannes Brahms

Ein deutsches Requiem

Christine Schäfer, Christian Gerhaher, Chor des BR, Münchner Philharmoniker, Christian Thielemann

C-Major/Naxos 703308
(83 Min., 4/2007)

An langsame Tempi sind die Münchner Philharmoniker gewöhnt: Sie zelebrierten unter dem späten Celibidache wichtige Teile des sinfonischen Repertoires teilweise im Zeitlupen-Feeling. Celi mochte zu Lebzeiten keine Mitschnitte seiner Konzerte zur Veröffentlichung genehmigen; das Wissen um die Schwierigkeit des authentischen Konservierens seines speziellen Zeitgefühls beim Musizieren könnte ein wichtiger Grund dafür gewesen sein. Vor diesem Hintergrund möchte der Rezensent nicht ausschließen, dass das live mitgeschnittene Brahms-Requiem auf dieser DVD in der Münchner Philharmonie an jenem Abend im April 2007 eine großartige Wirkung entfaltet hat. Im Nacherleben mittels eines Ton- und Bildträgers jedoch steht es streckenweise förmlich auf der Stelle. De facto fand der Rezensent unter den zehn Einspielungen des Werks in seinen CD-Regalen keine einzige, in der der vierte Satz ("Wie lieblich sind deine Wohnungen") die Sechs-Minuten-Grenze überschreitet; Thielemann musiziert das kurze Stück in 6:39. Ergebnis ist, dass jene Sehnsucht nach den Wohnungen des Herrn Zebaoth, von denen im Psalmtext die Rede ist, fast den Beigeschmack der Agonie erhält. Und im anschließenden Sopransolo "Ihr habt nun Traurigkeit", das nur Rudolf Kempe 1955 mit Elisabeth Grümmer annähernd so langsam musizierte, muss Thielemanns Solistin Christine Schäfer unverhältnismäßig oft, teilweise nach einzelnen Worten, nachatmen. Sie meistert das Atemproblem souverän, behält bei frontal auf sie gerichteter Kamera einen kühlen Kopf – aber die Musik rührt sich nicht vom Fleck. Ist es verwerflich, etwa bei "Sehet mich an …" ein wenig anzuziehen, wie das viele Dirigenten tun, und damit den Gestus der an dieser Stelle noch intensivierten Anrede zu unterstreichen?
Diesen grundsätzlichen Kritikpunkten steht die Perfektion der Darbietung gegenüber; freilich musizieren Chor und Orchester unter Thielemanns minutiös genauer Leitung höchst vollkommen. Aber wie mühsam ist das Zuhören, wenn selbst hochdramatische Passagen ("Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg") seltsam buchstabiert daherkommen, wenn sich selbst in den finalen Fugen ("Die Erlöseten des Herrn …") die Spannung niemals über ein gelösteres Tempo entlädt? Thielemann formt und gestaltet unablässig auf Detailebene, teils mit weit aufgerissenen Augen zwingt er das riesige Ensemble zu einer mitunter lähmenden Langsamkeit, die den vielen aufblühenden, aufjubelnden oder aufbegehrenden Passagen nicht gerecht wird.

Michael Wersin, 15.01.2011



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