Sony Classical 86977 54512
(78 Min., 8/2010)
Darf man das Schumann-Spiel eines heute 30-jährigen Shootingstars mit demjenigen eines 78-jährigen ehemaligen Grandseigneurs vergleichen, der über Jahrzehnte hinweg, durch mehrere Krisen hindurch, langsam seiner Vervollkommnung entgegen reifen konnte und dabei von Lehrern profitierte, die geistig noch in Schumanns Welt verwurzelt waren? Martin Stadtfelds jetzt eingespielte "Waldszenen" jedenfalls scheinen in der Tat fünf Jahrzehnte Reifungsprozess von Wilhelm Kempffs Referenzaufnahme aus dem Jahr 1973 entfernt. Nicht dass es dem Jungspund an einer romantischen Ader fehlte. Aber sie reicht nicht viel tiefer als zu einem samtigen Weichklang und einer oberflächlichen Piano-Versenkung. Wartet Kempff mit agogischen Finessen und subtilster Stimmbalance auf, propagiert Stadtfeld eine gleichförmige Schwarz-Weiß-Malerei. Kempffs Schumann 'spricht' zu uns, Stadtfelds ist 'korrekt' – und lässt den Hörer seltsam kalt. Das gilt selbst für die romantische Noten-Bekundung schlechthin, die "Mondnacht", die Stadtfeld eigenhändig arrangiert hat, und, mit ein wenig mehr Valeurs, für die drei Brahms-Intermezzi sowie Wagners (egoman-selbstverliebtes) Albumblatt für Betty Schott. Vollends zwiespältig geriet Liszts Variationenopus über Bachs Kantate "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen" sowie Wagners, von Liszt wahrlich atemberaubend auf die Tasten übertragene "Tannhäuser"-Ouvertüre und Isoldes Verklärung: Hier muss – und kann – Stadtfeld nicht nur seine stupende Technik unter Beweis stellen; hier leuchtet auch mitunter jene romantische Emphase auf, die man sich von diesem reichhaltigen Programm durchgehend versprochen hatte.
Christoph Braun, 20.11.2010
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