Challenge Records CC72241
(74 Min., 9/2005) 1 CD
Dieterich Buxtehudes geistliche Abendmusiken in der Lübecker Marienkirche erfreuten sich nicht nur großer Popularität beim Laienpublikum, sondern erweckten auch das Interesse der Fachkollegen: Der junge Johann Sebastian Bach etwa zählte zu den Bewunderern der weithin bekannten Veranstaltungen. Leider ist das Repertoire, das Buxtehude bei diesen Gelegenheiten zur Aufführung brachte, teilweise verschollen; von einigen umfangreichen Oratorien sind z. B. lediglich die Textbücher erhalten geblieben. Umso größer ist daher der Wert des Aufführungsmaterials zu "Wacht! Euch zum Streit gefasset macht!", das in der Universität von Uppsala im Nachlass des mit Buxtehude befreundeten schwedischen Hofkapellmeisters Gustav Düben – leider unvollständig – erhalten geblieben ist. Man kann für dieses Stück, das höchstwahrscheinlich – wenn auch nicht ganz sicher – von Buxtehude stammt, eine Aufführung bei den Lübecker Abendmusiken zumindest vermuten. Eine bisher einzig vorhandene ältere Edition des Materials (von 1939 bzw. 1953) entspricht u. a. hinsichtlich der Rekonstruktion der verlorenen Stimmen nicht mehr dem heutigen Standard der Quellenforschung; wer das Stück heute spielen will, muss es bisher also selbst rekonstruieren (Ton Koopmans Version allerdings soll nun bei Carus erscheinen).
Dies tat vor einigen Monaten bereits Robert Wilson für seine Aufnahme von "Wacht! Euch zum Streit gefasset macht!" bei Sony. Ein Vergleich mit Ton Koopmans vorliegender Einspielung (Teil II seiner Buxtehude-Gesamteinspielung) zeigt, wie unterschiedlich man diese Aufgabe lösen kann: Während Wilson auf eine Vielzahl von zu Buxtehudes Zeit üblichen Instrumenten (Cornetti, Blockflöten etc.) zurückgreift, um damit die Ritornelle der Arien klanglich möglichst bunt zu gestalten, beschränkt sich Koopman auf die (wohl originalen?) Violinen als Diskantinstrumente. Da Koopmans Gesangssolisten insgesamt überzeugender, d. h. in puncto Diktion prägnanter sowie stimmlich brillanter, agieren (bzw. auch vorteilhafter aufgenommen wurden), muss seine Aufnahme als die in vokaler Hinsicht deutlich gelungenere gewertet werden. Bei Wilson hingegen bereitet das prachtvolle Instrumentarium durchaus Freude. Koopman indes kompensiert die monochromere instrumentale Ebene in seiner Einspielung wie üblich durch die nervöse Beweglichkeit seiner rechten Continuo-Hand: Streng genommen fügt er dem Satz eine Stimme hinzu, weil er fast durchgehend obligat im Dialog mit den Sängern bzw. den Violinen improvisiert. In dieser Exzessivität nervt das gelegentlich, zumal nicht klar ist, ob man zu Buxtehudes Zeit wirklich so Continuo gespielt hat. Vor- und Nachteile also bei beiden Aufnahmen – der Hörer muss für sich entscheiden oder aber warten, ob im Buxtehudejahr noch eine weitere Version erscheint.
Michael Wersin, 24.03.2007
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