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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Igor Strawinski, Domenico Scarlatti, Johannes Brahms, Maurice Ravel

Transformation

Yuja Wang

DG/Universal 477 8795
(58 Min., 1/2010)

Virtuosität ist kein Problem für Juja Wang – und gerade das macht sie so verdächtig. Immer wieder werden wir konfrontiert mit jungen Klaviertalenten, deren schiere technische Fertigkeiten so großartig sind, dass wir unweigerlich darüber staunen müssen. Mit schwierigsten Programmen wagen sich diese mental offenbar unverwüstlich hyperstabilen Tastenhelden auf die Bühnen der Welt, und dem Publikum obliegt es, zu entscheiden, ob sie durch ihre überwältigende Fingerfertigkeit hindurch auch wahres, tiefes Verständnis für die Musik erkennen lassen. Die Antwort ist nicht immer ganz leicht, wenn solche Karrieren gerade erst ihren Anfang nehmen: Arcadi Volodos wurde zunächst schärfstens kritisiert und mauserte sich dann doch zu einem wahren Denker am Klavier. Lang Lang wurde ganz zu Anfang vorsichtig als Hoffnungsträger betrachtet, verkam aber bald zum Popstar des Klassikbusiness.
Nun also Yuja Wang, 23 Jahre alt, geboren in Peking, mit 14 nach Kanada bzw. dann nach Amerika ausgewandert. Früher, so bekannte sie vor einiger Zeit im Interview, hat sie gern blanke Virtuosität präsentiert – heute nun spielt sie gern auch Musik, über die man nachdenken muss. Die h-Moll-Sonate von Liszt, die sie für ihr Debüt-Rezital bei DG einspielte, macht ihr technisch keinerlei Probleme, inhaltlich aber wohl, gab sie unumwunden zu: Weil man ihr gesagt hat, es ginge darin um den "Faust", hat sie eben versucht, selbigen zu lesen und zu verstehen ...
Jetzt präsentiert sie ihre zweite CD, das Programm wieder spektakulär, eigentlich sogar recht abgefahren: zwei Scarlatti-Sonaten, in – Verzeihung – nichtssagender Ausführung als Puffer zwischen den schwergewichtigen Brocken. Im Zentrum Brahms’ "Paganini-Variationen", technisch brillant bewältigt, in puncto Ausdruck jedoch nicht gerade umwerfend: So barrierefrei laufen die Finger, dass die Sperrigkeit und Kantigkeit dieses bemerkenswert eigenwilligen Klavierzyklus doch allenfalls noch erahnbar ist. Man höre beispielsweise Julius Katchens Interpretation und frage sich dann: Warum genau spielt Yuja Wang dieses Werk? Was weiß sie über Brahms und seine Intentionen? Das Rahmenprogramm: Tastenzauber der durchaus mitreißenden Art. Am Anfang drei Sätze aus Strawinskis "Petruschka", bearbeitet vom Komponisten selbst – von Frau Wang schmissig dargeboten, das haben wir genossen. Am Ende dann Ravels "La valse": Eigentlich ist ein Klavier ohnehin zu klein, zu eng für dieses umwerfende Szenario, in dem Ravel, unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, wohl nicht weniger als den Untergang der Alten Welt in Walzer-Musik setzte. Dass der Walzer hier nach und nach zum Totentanz gerät, erklärt Yuja Wang im Beiheft-Interview. Auch bekundet sie, es gehe hier darum, die Farben der Orchesterversion wiederzugeben. Beides – das muss der Rezensent leider gestehen – hören wir in ihrer bedauerlich glatten, zwar wiederum eindrucksvoll virtuosen, aber ansonsten eher harmlosen Interpretation nicht. Ambivalenz der Fingerfertigkeit: Sie ist einerseits unverzichtbar, andererseits jedoch verführt sie schnell zum Leichtsinn.

Michael Wersin, 19.06.2010


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