Orfeo C 804 101A
(69 Min., 7/2009)
Warum ständig so viel Gewese um den lettischen Dirigenten Andris Nelsons? Ganz einfach: In seiner Fähigkeit, dem Fluss eines Werkes überschwänglich zu folgen und ein Äußerstes an innerer Spannung, Begeisterung und Schwung freizusetzen, ist Nelsons ein ganz rarer Fall. In Ästhetik, Gestik und der Frisur nach erinnert er stark an seinen Lehrer, den wunderbaren Mariss Jansons. Und scheint doch keineswegs dessen Kopie. Auch bei seiner vierten CD für Orfeo straft er diejenigen Lügen, die glauben, auf dem gut sortierten Terrain von Aufnahmen bekannter Werke seien keine Neuentdeckungen mehr zu machen. Das kommt hier fast einem Wunder gleich. Tänzerische Leichtfüßigkeit, Transparenz und Esprit bringen Strawinskis alten Vogel zum Funkeln, Irrlichtern und Springen, sodass man tatsächlich glauben könnte, das Stück erstmalig zu hören. Obwohl hier nicht nur die Suite, sondern die doppelt so lange Ballettmusik orchestral vertanzt wird, gelingt Nelsons durch zügige Tempi, Farbwechsel und sein hellwaches Orchester ein Eindruck von Süffigkeit und Kürze.
Rund, flüssig und harmonisch – zunächst fast zu sehr – auch die "Psalmen-Symphonie", bis der eher leichtgewichtige Eindruck durch den kunstvoll erregten, ja dramatisch aufgewühlten CBSO Chorus spirituell beschwert wird und unerwartetes Gewicht erhält. Auch dadurch, dass Nelsons das Tempo des Werkes kunstvoll verlangsamt und sistiert. Insgesamt fulminante Beiträge, weil Strawinski in der Debussy- statt in der Schönbergtradition verortet wird. Beeindruckend auch hinsichtlich des warmen, temperamentvoll und klangschön agierenden Orchesters. Das Publikum von Birmingham gehört zu denjenigen in der Welt, die man beneiden kann.
Robert Fraunholzer, 01.05.2010
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