CPO/JPC 777 395-2
(68 Min., 3/2003 & 5/2004) 1 CD
Es ist schon bedauerlich, dass diese Musik so gut ist – wo ihr Autor doch ein so ausgemachter Blödmann war. Hans Pfitzner hat sogar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch Dinge über Deutschland, die Nazis und den Holocaust gesagt, die man nicht wiederholen möchte. Und genau dieser verbitterte Trottel schreibt in einer Zeit, in der er dem Kriegsverbrecher Hans Frank in seiner Nürnberger Todeszelle seine Solidarität ausspricht, ein unglaublich lässiges Sextett, eine denkbar freizügige, gutgelaunte Musik, die tut, was ihr gerade in den Sinn kommt, die wieselflink jedem Einfall nachläuft, Haken schlägt, wo es ihr gefällt, und so gar nichts gemein zu haben scheint mit dem deutschnationalen Größen- und Verfolgungswahn des Mannes, der sie schrieb. Auch das 40 Jahre zuvor entstandene Klavierquintett nimmt sich überraschende formale Freiheiten – und kompen-siert damit über weite Strecken erfolgreich das reaktionäre Festhalten an einer harmonisch-melodischen Spra-che, die über Schubert und Schumann kaum hinausgekommen ist. Wie soll man also einer Musik als Hörer begegnen, die so schrecklich anachronistisch und ideologisch vorbelastet ist?
Hin- und Hergerissen ist man bei dieser Aufnahme gerade auch wegen ihrer außerordentlichen Güte. Nicht nur, dass hier ein übler Mensch eine gar nicht üble Musik geschrieben hat, diese Musik widerspricht auch in der vorliegenden Einspielung dem überlieferten Bild von Pfitzner als schroffem Langweiler. Die federnde Leich-tigkeit des Spätwerks, dem das Ensemble Ulf Hoelscher einen wunderbar jugendlichen, sorglosen Zug verleiht, aber auch das kontrapunktisch und harmonisch gedrängte, zuweilen zu sinfonischer Massigkeit geballte Kla-vierquintett – das ist an keiner Stelle öde: Pfitzners in der Theorie so manisches Beharren auf einer Ästhetik des thematischen Einfalls belebt hier bar jeder Manie eine durch und durch launische Musik, bei der man nie so recht weiß, was sie als Nächstes im Schilde führt. Die improvisatorischen Qualitäten von Pfitzners Schreib-weise finden im Ensemble Ulf Hoelscher kongenialen Nachvollzug: Hoelscher und seine Kollegen vertrauen der Musik und lassen sie laufen. Meist sind die Zügel locker, nur gelegentlich etwas fester angezogen, nie je-doch so straff, dass die einzelnen Stimmen aus einem Moment der Ruhe heraus im nächsten Moment nicht plötzlich wieder nach vorne schnellen könnten.
Raoul Mörchen, 24.04.2009
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