Hänssler Classic/Naxos 93.218
(60 Min., 4/2007) 1 CD
Norrington hat es wieder einmal geschafft: Nach Mahler, Brahms und Tschaikowsky sorgt Sir Rogers vibratofreier Stuttgartsound nun auch bei Bruckner für radikale Hörerlebnisse, die das scheinbar Vertraute in völlig neuem Licht zeigen. Monumentalität, Wuchtigkeit und mystisches Streichergewaber sind Fehlanzeige bei diesem Bruckner. Getreu seinem Motto, dass im 19. Jahrhundert noch das Formbewusstsein des 18. bestimmend war, dirigiert Norrington die "Romantische" als klassische Sinfonie und gibt dem Stück einen zwingenden formalen Zusammenhalt, statt mit breitem Pinsel ein orchestrales Breitwandgemälde zu malen.
Konsequenterweise wählt er die Erstfassung von 1874, doch im Gegensatz zu bisherigen Aufnahmen, deren Dirigenten sich bei ihrer Tempowahl an der breiteren Anlage der populäreren späten Version orientierten, nimmt Norrington schon den Kopfsatz als flottes Allegro. Strahlend optimistisch und dabei völlig pathosfrei klingt dieser Bruckner, ohne Vibratolast entfalten die Streicher An- und Übermut, das Blech schüchtert nicht ein, sondern markiert schlank und markant die Eckpunkte der Entwicklung. Wann hat man je die Vogelrufe in der "Romantischen" so übermütig tirilieren hören? Wann pulsierten die Tanzrhythmen des Stücks je so vital? Wunderbar etwa, wie sich der Höhepunkt des langsamen Satzes aus einem beschwingten Dreiertakt hochschaukelt und schließlich in jauchzende Bläserfanfaren mündet. Packend der große Zug, den das Finale von Anfang an entwickelt (kennzeichnend, dass Norrington hier statt der üblichen Generalpause zwischen Exposition und Durchführung die Spannung mit einem von Bruckner handschriftlich überlieferten Paukensolo weiterköcheln lässt). So macht Bruckner einfach Spaß!
Jörg Königsdorf, 21.01.2009
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